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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
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eine Tasche, keine Waffe. »Ist das alles, was die Unschuld einer Frau Ihnen wert ist, Sir? Zwanzig Pfund? Würden Sie Ihre Tochter – oder Schwester – so billig in eine Ehe verkaufen?«
    Missbilligung ließ das männliche Interesse umschlagen. Prostituierte, gleich ob männlich oder weiblich, verglichen ihrenWert nicht mit dem der vornehmen Gesellschaft. So hoch der Preis auch sein mochte, den sie für ihr Fleisch verlangen konnten.
    Trällerndes Lachen hallte durch die von Kerzen erhellte Dunkelheit. Ein englischer Gentleman und ein Londoner Freudenmädchen gingen die mit rotem Teppich belegte Treppe am Rand des Saales hinauf, Frackschöße flatterten, Seide raschelte.
    Sie waren sich beim Jahrgangschampagner einig geworden; ihr Fleisch würde den Handel oben in einem der Schlafzimmer besiegeln.
    Gabriels Körper spannte sich, um den Adams-Revolver abzufeuern, während Glut, Geruch, Geräusche und Gehabe von Männern mit Frauen sein Geschlecht peinigten.
    Gabriel fürchtete seinen eigenen Tod heute Nacht nicht. Das würde später kommen. Michael sterben zu sehen wäre seine Strafe, der Tod sein Lohn.
    Für den Schmerz, für die Lust …
    »Ich gebe Ihnen einhundertfünf Pfund, Mademoiselle, für Ihre … Unschuld«, bot eine seidige Männerstimme an.
    Plötzliches Erkennen straffte Gabriels Kopfhaut. Als er diese Stimme zuletzt gehört hatte, hatte sie fließend Französisch gesprochen, nicht gestochenes Englisch. Es gab keinen Irrtum, wem sie gehörte: Der zweite Mann hatte auf die verhüllte Frau geboten.
    Schwarz-weiße Bewegung durchschnitt den Rand seines Blickfelds. Reflexartig schnellte Gabriels Kopf nach rechts, sein Herz pochte, seine Linke war ruhig, das Warten vorüber. Ein Mann in schwarzem Frack beugte sich über ein weißes Seidentischtuch. Blau-orange züngelte eine Flamme zwischen einer stumpfen Zigarre und einer verjüngten Kerze. Graues Haar schimmerte im doppelten Spiel des Lichts, verschwand in einer Rauchwolke.
    Er war nicht der Mann, der hundertfünf Pfund geboten hatte. Er war nicht der Mann, den Gabriel töten würde oder der ihn töten würde.
    Ein ferner Glockenschlag durchdrang das Holz, das Glas, die pulsierende Erotik und den drohenden Tod, aus dem das Haus Gabriels erbaut war: Big Ben schlug die Stunde, eins, zwei, drei …
    »Ich biete einhundertzwanzig Pfund.«
    Ein fast kahler Schädel glänzte wie ein nahezu vollständiger Vollmond zwischen schimmernden goldenen Kragenknöpfen.
    »Ich biete hundertfünfzig Pfund.«
    Feuertränen funkelten in Kristall und glitzerten in dunklem Haar.
    »Mein Gott«, rief Baron Strathgar aus der Mitte des Saales. Sein rundes Gesicht war vom Alkohol gerötet, sein deutscher Akzent vor Erregung stark ausgeprägt. »Ich biete zweihundert Pfund.«
    Michaels Wachsamkeit schnürte Gabriel die Brust ab, während die Erwartung des zweiten Mannes ihm wie eine Faust in den Magen schlug.
    Leises Gemurmel schwoll zu einer dumpfen Kakophonie an, zweihundert mutmaßende Stimmen wurden laut. Noch nie hatte im Haus Gabriel eine Auktion stattgefunden. Doch nun war eine in Gang. Männer boten keine zweihundert Pfund, um das Jungfernhäutchen einer Frau zu durchstoßen. Doch Strathgar hatte sie gerade geboten.
    Gabriel bereitete sich auf das nächste Gebot vor.
    Beobachtete. Wartete. Erinnerte sich …
    … Wie er zum ersten Mal den Namen Gabriel gelesen hatte, in Druckbuchstaben geschrieben von Michael, während sie warteten, dass der Tag in den Abend überging.
    … Wie er zum ersten Mal das Wort Michael geschrieben und in den Pausen zwischen den Frauen, die einen dunkelhaarigen Jungen kauften, und den Männern, die ihn kauften, Schreiben geübt hatte.
    Überlegte …
    … Wann das fleischliche Verlangen absterben und er aufhören würde, bebend nach etwas zu lechzen, was er niemals haben konnte.
    … Wieso er die Weissagung einer Frau nicht vergessen konnte; dass er eine Frau finden würde, die ihm Lust bereiten würde. Um alles wiedergutzumachen, was er erlitten hatte.
    Das Warten endete in Unruhe. Der deutsche Baron schob seinenMahagonisessel zurück und stand auf, um seine Eroberung einzufordern.
    »Ich gebe Ihnen fünfhundert Pfund.«
    Strathgar hielt mitten im Schritt inne. Der grauhaarige Mann hatte das Gebot abgegeben. Gabriels Blick streifte den Rücken des Grauhaarigen, huschte hinüber zu der Blondine, die ihm gegenüber saß, und heftete sich auf den Mann am Tisch hinter ihnen. Dessen Haar am Hinterkopf war so schwarz, dass es blau

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