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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Widerhall von Empfindungen, die ihm vertraut vorkommen, doch irgendwie nicht seine eigenen sind.
    Die Statistik lässt darauf schließen, dass diese Empfindungen nicht vollkommen der Phantasie entspringen. In einem früheren Jahrzehnt haben Experten – Menschen, die Yves Scanlon ähneln, außer dass sie das Glück hatten, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein – sogar herausgefunden, woher das Flüstern stammt.
    Wie sich herausgestellt hat, können Protein-Mikrotubuli, die die Nervenzellen durchdringen, als Empfänger für bestimmte schwache Signale auf der Quantenebene dienen. Das Bewusstsein selbst hat sich als Quantenphänomen erwiesen. Und unter gewissen Bedingungen können bewusste Systeme direkt miteinander in Kontakt treten und die üblichen sensorischen Vermittler umgehen.
    Kein schlechtes Ergebnis für ein Experiment, das vor hundert Jahren damit begann, dass Versuchspersonen halbierte Tischtennisbälle über die Augen geklebt wurden.
    Ganzfeld. Das ist die Lösung. Sprich nicht darüber, mit welcher Leichtigkeit diese Kreaturen dich durchschauen. Denk nicht an das Resultat: Seziere den Prozess.
    Übernimm die Kontrolle.

    Ich bin der Meinung, dass es sich hier um eine Art Ganzfeld-Effekt handeln könnte. Die dunkle, schwerelose Umgebung der Tiefe könnte zu einer Verringerung der Reize führen, die ausreicht, um das Verhältnis von Signal und Hintergrundlärm über den entsprechenden Grenzwert hinaus zu verschieben. Meine Beobachtungen lassen darauf schließen, dass die Frauen für dieses Phänomen empfänglicher sind als die Männer, was mit ihrem größeren Corpus callosum zu erklären wäre und mit dem damit verbundenen schnelleren Informationsaustausch zwischen den Gehirnhälften.
    Was immer die Ursache des Phänomens ist, bisher hat es mich noch nicht erfasst. Doch vielleicht braucht es ein wenig Zeit.
    Ach ja, noch eine andere Sache: Ich konnte im medizinischen Scanner keine Aufzeichnungen über Karl Acton finden. Ich habe Clarke und Brander dazu befragt, und keiner von beiden konnte sich erinnern, ob Acton die Maschine jemals benutzt hat. Angesichts der Zahl von Verletzungen, die in den Aufzeichnungen über die anderen zu finden sind, ist das erstaunlich.

    Yves Scanlon sitzt am Tisch und zwingt sich zu essen, obwohl sein Mund völlig trocken ist. Er hört die Vampire umherwandern, im unteren Stockwerk, im Korridor und direkt hinter ihm. Er dreht sich nicht um. Er darf keine Schwäche zeigen. Keine mangelnde Zuversicht.
    Inzwischen weiß er: Vampire sind wie Hunde. Sie können Furcht riechen.
    Sein Kopf ist voller abgerissener Satzfetzen, die sich endlos wiederholen. Sie sind hier nicht unter Freunden, Scanlon. Machen Sie uns nicht zu Feinden . Diese Worte hat ihm Brander vor fünf Minuten ins Ohr geflüstert, bevor er in den Schleusenraum hinabgestiegen ist. Und Caraco hat mit dem Brotmesser auf den Tisch geklopft – klick, klick, klick –, bis er kaum einen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Und Nakata und ihr blödes Kichern . Und Patricia Rowan, irgendwann in einer imaginären Zukunft, die mit einem höhnischen Lächeln sagt: Also, wenn Sie nicht einmal einen Routineauftrag erledigen können, ohne einen Aufstand zu verursachen, ist es kein Wunder, dass wir Ihnen nicht vertraut haben …
    Oder vielleicht ein knapper Anruf bei der Netzbehörde, der aus einer anderen Zeitlinie herüberhallt: Haben Scanlon verloren. Sorry .
    Und unter allem anderen dieses langgezogene, hohle, eisige Geräusch, das über den Grund seines Gehirns gleitet. Dieses Ding. Dieses Ding, über das niemand spricht. Die Stimme in der Tiefe. Heute Nacht klingt es, als sei es ganz in der Nähe, was immer es ist.
    Auch wenn die Vampire das nicht weiter kümmert. Sie schließen ihre Taucherhäute, während Scanlon erstarrt über den Resten seiner Mahlzeit sitzt. Sie greifen nach ihren Schwimmflossen und gehen dann einzeln oder zu zweit nach draußen und lassen ihn allein zurück. Sie gehen nach draußen zu dem wimmernden Ding.
    Über das Stimmengewirr in seinem Kopf hinweg fragt sich Scanlon, ob das Ding womöglich hereingelangen kann. Ob sie es heute Nacht vielleicht mit hereinbringen werden.

    Die Vampire sind alle verschwunden. Nach einer Weile beginnen auch die Stimmen in Scanlons Kopf zu verstummen. Zumindest die meisten.
    Das ist verrückt. Ich kann nicht einfach nur hier herumsitzen.
    Eine Stimme hat er heute Nacht nicht gehört. Lenie Clarke hat während des ganzen Fiaskos nur dagesessen und zugeschaut. Clarke

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