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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Jarvis ist erneut in Plauderstimmung. »Kein Witz. Das Gel dort war für die Steuerung des U-Bahn-Netzes verantwortlich und hat immer tadellos funktioniert, bis es eines Tages einfach vergessen hat, die Lüftungsanlage einzuschalten. Der Zug fährt fünfzehn Meter unter der Erde in den Bahnhof ein, alle steigen aus, keine Luft, bumm .«
    Joel kennt die Geschichte. Die Pointe hat irgendetwas mit einer kaputten Uhr zu tun, wenn er sich recht erinnert.
    »Diese Dinger lernen aus Erfahrungen, richtig?«, fährt Jarvis fort. »Also haben alle angenommen, dass sich das Gel beim Anschalten der Lüftungsanlage nach irgendetwas Offensichtlichem richtet. Körperwärme, Bewegung, CO 2 -Werte oder etwas in der Art. Wie sich herausstellt, hat es stattdessen eine Uhr beobachtet, die an der Wand hing. Die Ankunft der Züge entsprach einer berechenbaren Teilmenge von Mustern auf der digitalen Anzeige, also hat es die Lüftung immer dann eingeschaltet, wenn eines dieser Muster aufgetaucht ist.«
    »Ach ja. Richtig.« Joel schüttelt den Kopf. »Und irgendwelche Vandalen haben die Uhr kaputt gemacht, oder so.«
    »He. Sie haben also doch davon gehört.«
    »Jarvis, diese Geschichte ist mindestens zehn Jahre alt. Damals steckte die ganze Technik noch in den Kinderschuhen. Seither sind die Gele bis auf die Molekularebene überprüft worden.«
    »Ach ja? Wie können Sie da so sicher sein?«
    »Weil der Lifter jetzt seit beinahe einem Jahr von einem Gel gesteuert wird. Da hatte es jede Menge Gelegenheit, Mist zu bauen. Aber das ist nicht passiert.«
    »Ihnen gefallen diese Dinger also?«
    »Natürlich nicht«, sagt Joel und denkt an Ray Stericker. Und an sich selbst. »Sie würden mir deutlich besser gefallen, wenn sie hin und wieder mal einen Fehler machen würden, wissen Sie?«
    »Also, ich mag sie weder, noch vertraue ich ihnen. Möchte wissen, was sie im Schilde führen.«
    Joel nickt, von Jarvis’ Abschweifung abgelenkt. Doch dann kehren seine Gedanken zu toten Bartwürmern zurück und Zonen, die inoffiziell für Taucher gesperrt sind, und einem ungekennzeichneten Behälter, der in genügend Gift gebadet wurde, um damit eine ganze Stadt umbringen zu können.
    Möchte wissen, was so manche von uns im Schilde führen .

Geister
    Es ist scheußlich anzusehen.
    Beinahe einen Meter groß. Vermutlich war es kleiner, als Clarke angefangen hat, daran herumzubasteln, doch inzwischen ist es ein richtiges Ungeheuer. Scanlon denkt an seine Zeit in der V-Schule zurück und erinnert sich: Seesterne sind eigentlich flach. Platte Scheiben mit Armen. Dieser hier ist jedoch anders. Clarke hat mehrere Teile in verschiedenen Winkeln zusammengesetzt und einen kriechenden gordischen Knoten geschaffen. Manche der Teile sind rot, manche lila, andere weiß. Scanlon glaubt, der ursprüngliche Körper könnte einmal orange gewesen sein.
    »Sie regenerieren sich«, ist Clarkes surrende Stimme neben ihm zu hören. »Und sie besitzen ein sehr primitives Immunsystem. Es gibt also keine Probleme mit der Abstoßung von Gewebe oder Ähnlichem. Dadurch kann man sie leichter reparieren, wenn irgendetwas schiefgeht.«
    Reparieren . Als ob man das eine Verbesserung nennen könnte. »Er war also kaputt?«, fragt Scanlon. »Was war denn nicht in Ordnung mit ihm?«
    »Er hatte einen Kratzer. Einen Riss auf dem Rücken. Und ich habe in der Nähe einen anderen Seestern gefunden, der in seine Einzelteile zerbrochen war. Er war viel zu kaputt, als dass ich ihm noch hätte helfen können, aber ich dachte mir, ich könnte ein paar Stücke davon benutzen, um diesen kleinen Kerl hier wieder zusammenzuflicken.«
    Diesen kleinen Kerl. Dieser kleine Kerl schleppt sich langsam und traurig unter ihnen im Kreis herum und hinterlässt dabei wirre Spuren im Schlamm. Fäden von parasitischen Pilzen hängen an den noch nicht gänzlich verheilten gezackten Nähten. Zusätzliche Gliedmaßen, die in unregelmäßigen Abständen am Körper angebracht sind, bleiben an Steinen hängen. Der Körper schwankt hin und her und verliert ständig das Gleichgewicht.
    Lenie Clarke scheint das nicht aufzufallen.
    »Wann haben Sie … Ich meine, wie lange sind Sie schon damit beschäftigt?«
    Scanlons Stimme klingt bewundernswert gleichgültig; er ist sich sicher, dass sie nichts als freundliches Interesse zum Ausdruck bringt. Doch irgendwie begreift Clarke. Sie schweigt einen Moment lang, richtet dann ihre untoten Augen auf ihn und sagt: »Natürlich. Der Anblick ekelt Sie an.«
    »Nein, ich finde ihn …

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