Abonji, Melinda Nadj
schöne Heimat verlassen gespielt, Nomi, die mich in
den Arm kneift, weil Gyula in diesem Moment wieder ins Zelt schlüpft und ein
paar Minuten später, Terez, na, was hab ich dir gesagt?, Vater, der vor dem
Lied Grossonkel Pista die Lage der Welt erklärt hat, auf einer imaginären
Karte, aber gut sichtbar für alle, die keine Maulwürfe sind, Grossonkel Pista,
der in seinem jetzigen Zustand eigentlich nur noch nicken kann — ich beobachte
also, wie Vater sich auf dem Tisch abstützt, langsam aufsteht, die Tischplatte
loslässt, wackelt, sich dann, als er sich eingependelt hat, den Krawattenknopf
und das hellgraue Jackett richtet, nach einem Löffel langt, was kommt jetzt,
flüstert Mutter, weil sie so gut wie ich und Nomi weiss, was jetzt kommt, und
Vater klopft mit dem Löffel gegen zwei Gläser, bittet um Ruhe, weil er jetzt
etwas sagen möchte, er möchte jetzt etwas sagen und nicht viele Worte
verlieren, und es wird still im Zelt, ich, die sich umsieht, sehe geknickte
Köpfe, eingelegte Augen, Löcher in hoch getürmten Frisuren, Lidstriche, die
sich verbreitert haben, Nomi, flüstere ich leise, lass uns wieder verschwinden
— aber es ist zu spät.
Vater, der es tatsächlich tut,
sein Glas erhebt, auf das Brautpaar!, auf Nándor und Valeria!, auf den 4. 8.
1980!, darauf, dass Tito vor genau drei Monaten ins Gras gebissen hat! Und ich
wünsche ihm, und ich hoffe, ihr tut es auch, dass er in einem hundertfachen
Fegefeuer schmort!
Nándor und Valeria, die
höflich und hilflos lächeln, kein hundertfaches Fegefeuer, sondern ein
blutrotes, ruft einer, hebt sein Glas in Vaters Richtung, steht auf, aber
sonst, sonst bleiben alle sitzen, und eine speckige Frau ruft, ihr Spinner,
geht doch raus, wenn ihr politisieren wollt!, und sie zeigt energisch zum
Zeltausgang, und jemand klatscht in die Hände, Musik, Musik! Der Miklós hat
schon recht, ruft einer, aber die Geiger und Sänger streichen und singen schon, schön
sind, schön sind die, deren Augen blau sind ... Hört mal
zu, ruft jemand noch und formt mit seinen Händen einen Trichter, es war ein
blöder Bubenstreich, das mit der Zeltplache, hört mal zu, das waren die beiden
Buben da drüben! — aber das interessiert jetzt niemanden mehr.
Willst du uns alle im Grab
sehen, sagt Onkel Móric, der sich, kaum haben die Musiker zu spielen
angefangen, neben Vater an den Tisch gestellt hat, so nah, dass er ihn mit
seiner geäderten Nase fast berührt, wünschst du uns den Krieg, zischt Onkel Móric,
sag mal, oder ist dir einfach dein Mund ausgerutscht? Mutter sieht in ihrem
grasgrünen Kleid immer noch schön aus, aber hilflos, und niemand hört ihr zu,
als sie sagt, könnt ihr das nicht auf einen anderen Tag verschieben? Vater und
Onkel Móric, die sich mit Worten bespucken, du wünschst uns den Krieg, sagt
Onkel Móric immer wieder, Vater ruft, hör doch auf, ach, hör doch bloss auf,
wirbelt seinen Rauch spöttisch gegen das Zeltdach, ist dir dein Humor in deiner
Festtagsunterhose verloren gegangen? Und die Girlanden sind jetzt kleine,
farbige Bojen, die in einem Meer von Rauch und Flüchen schaukeln. Dass dir Tito
nicht gepasst hat, ist mir völlig wurscht, brüllt Onkel Móric, den wir zum
ersten Mal fluchen hören, aber ich bin nicht der Einzige, der sagt, dass das
Land jetzt aus dem Ruder läuft, und seine ausgestreckte Hand sieht aus wie ein
eigenes Wesen. Wo ist dein Realitätssinn geblieben, fragt Vater und muss für "Realitätssinn"
ein paar Mal Anlauf holen, du glaubst doch nicht im Ernst, dass ein gestorbener
Tito einen Krieg auslöst?
Und es hat sich eine Traube
gebildet um Vater und Onkel Móric, keine Ahnung, wer was gerufen hat, wer mit
wem gestritten hat, sogar Juli stand plötzlich neben Grossmutter und rief, es
schneit, es schneit, der Schnee ist da!, ihr Mund, der mit Schlagsahne
verschmiert war, Mamika, von der Nomi und ich erwartet haben, dass sie den
Streit schlichtet, das sind zwei Brüder, die sich streiten, hat sie gesagt, nur
das, und die Musiker haben weitergespielt, obwohl ihnen niemand mehr zugehört
oder getanzt hat, es war so laut im Zelt, dass das übriggebliebene Essen auf
den Tellern wieder warm geworden ist, und Tito hat seinen Kopf aus dem
Fegefeuer und seine Zunge aus dem Mund gestreckt, in unser Hochzeitszelt
hinein, so berühmt bin ich immer noch!, und seine Nasenspitze glänzte vor
Schadenfreude.
Am schwierigsten wäre es zu
erzählen, dass Onkel Móric und Vater sich trotzdem nicht geprügelt haben, sie
haben sich zwar
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