Abonji, Melinda Nadj
eröffnen
wir das Mondial, und während der Weihnachtszeit haben wir geputzt, gebügelt,
Mutter hat zweitausend Mal in einen Mürbeteig gestochen und die Plätzchen mit
selbstgemachter Aprikosenkonfitüre in Spitzbuben verwandelt, Nomi und ich,
wir haben Halbmöndchen geformt, Vanillekipferl, wir haben uns tagelang heiss
gearbeitet, weil wir unsere Kunden eine Woche lang mit selbst Gebackenem
überraschen wollen, wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, uns von unserer
besten Seite kennenzulernen, ihnen zeigen, dass wir Handarbeit von Grund auf
kennen — wir, die von einer guten Fee geküsst worden sind, und es ist doch so,
wie wenn wir jahrelang auf diese eine Gelegenheit gewartet hätten, sagt
Mutter, es gab jede Menge Interessenten, die sind richtig Reihe gestanden, als
sie gehört haben, dass die Tanners das Geschäft Ende des Jahres aufgeben, das
hab ich ja mitbekommen, als Buffettochter! Und Mutter erzählte es wieder und
wieder, immer wieder spekulierten Vater und sie darüber, was wohl bei der
Entscheidung der Tanners den Ausschlag gegeben habe, und sie geniere sich fast
ein bisschen, wenn sie jetzt hinter dem Buffet arbeite, die Blicke der Gäste
auf sich ziehe, ja, und die Schärers, die ein gut laufendes Sanitärgeschäft
führten, die hätten jeden Tag angeklopft, an Frau Tanners Bürotür, weil sie es
nicht glauben konnten, dass sie das Mondial nicht bekommen — und ich, die sich
insgeheim vorstellt, dass Mutter durchs Dorf spaziert, es allen erzählt, wissen
Sie es schon, ich bekomme die Cafeteria Mondial!, und wenn Mutter diesen Satz
sagt, nimmt sie mit beiden Händen die Hand der Angesprochenen, einen Moment
lang hält sie die fremde Hand; Mutter, die ich mir frei und unangreifbar
vorstelle in ihrem stolzen Glück.
Wir stehen alle sehr früh auf,
um uns zu frisieren, zu dekorieren, es ist noch dunkel, wir haben Ringe unter
den Augen, weil wir uns durch die Wände hindurch mit unserer Schlaflosigkeit
angesteckt haben, aber wir reden nicht darüber, dass wir schwitzen, vor
Müdigkeit und Aufregung, wir haben uns nicht abgesprochen, was wir anziehen
sollen, ob es angebracht wäre, sich mit den Farben aufeinander abzustimmen, und
meistens, wenn ich so aufgeregt bin, denke ich, dass dieser Tag gar nie kommt,
dieser Tag, der diese ganze Aufregung verursacht, wahrscheinlich, weil die Zeit
davor lang und länger wird, bis sie sich zu einer schlaflosen Nacht ausdehnt,
und eigentlich kann ich gar nicht sagen, was sich in meinem Kopf abspielt,
sicher denke ich darüber nach, ob wir ausreichend vorbereitet sind, aber ich
denke auch darüber nach, dass so ein Tag, der mit einer solchen Aufregung
erwartet wird, im schwarzen Loch der mit übertriebener Nervosität erwarteten
Tage verschwindet, ich meine, so ein Tag wiegt schon schwer, obwohl er noch
nicht einmal die Gelegenheit gehabt hat anzufangen — kann das gut gehen, frage
ich mich, wir, unsere Familie, mit unserem Geschäft, in dieser prominenten
Lage, in dieser Gemeinde, einer der reichsten Gemeinden am rechten
Zürichseeufer, Nomi und ich, die nicht eigentlich ins Mondial passen, ich, die
sicher auch daran denkt, was alles schon schiefgelaufen ist, eine ganze
Menge!, oder doch nicht? Grundsätzliches? Kleinigkeiten? Hier wird nicht gepfiffen
wie in Italien oder in der Mongolei, rief ein Nachbar, jedes Mal, wenn Nomi und
ich durch die Zähne gepfiffen haben, Italien kann ich ja noch verstehen, sagte
Nomi, aber Mongolei? Seit ihr hier seid, ist alles verludert!, und "verludert"
fand ich gar nicht schlimm, aber "seit ihr hier seid" ging mir nicht
mehr aus dem Kopf, ich, die in Tränen ausbrach, ich, die stolz darauf war, dass
wir, Nomi und ich, offenbar etwas bewirken konnten; und andere, vor allem
Kunden unserer Wäscherei, die immer wieder fragten, ob wir etwas brauchten,
die uns dann Säcke brachten mit ausgetragenen Kleidern, so lernten wir die
Namen von teuren Kleidermarken kennen, Gucci, Yves Saint Laurent, Feinkeller, Versace,
danke schön!, und wir haben das meiste davon entsorgt, in Jugoslawien oder bei
der Caritas — ich, die gelernt hat, dass es Schweizer gibt, die sich ganz
grundsätzlich fürs Gute zuständig fühlen, schwitze, weil ich schlafen sollte,
weil ich schon lange weiss, dass man nicht zuviel denken sollte, wenn man nicht
schlafen kann.
Es ist so offensichtlich, dass
niemand von uns geschlafen hat, deswegen wäre es sinnlos zu sagen, ich habe
kein Auge zugedrückt, oder, wie man auf Ungarisch sagt, meine Augen sind
traumlos
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