Abonji, Melinda Nadj
die Pfarrer, sie tragen,
im Gegensatz zu den Dieben, keine Maske, sondern einen weissen Kragen, und ihr
Gesicht sieht so unschuldig aus wie frisches Brot. Andere Schwarzarbeiter
müssen mit schwarzen Sachen arbeiten, Kohlesäcke schleppen zum Beispiel. Oder
sie müssen, ähnlich wie eine Waschmaschine, so lange arbeiten, bis die schwarze
Sache wieder weiss ist ...
Irgendwann einmal habe ich das
Wort "Schwarzarbeit" aufgeschnappt, von meinen Fltern, ich konnte
noch kaum Deutsch, und es gab Wörter, die vergass ich rasch wieder, andere
gingen mir nicht mehr aus dem Kopf, so auch Schwarzarbeit. Es gefiel mir, dass
ich das Wort zwar nicht brauchen konnte — im Gegensatz zu schlafen, essen,
trinken, der See, die Frau, der Mann, das Kind, ja, nein — mir aber trotzdem
vieles darunter vorstellen konnte. Andere Wörter hingegen stapelten sich in
meinem Kopf wie nutzloser Kram: Ausweis, Niederlassung, Wartefrist. Bis ich die
Bedeutung dieser Wörter begriff, dauerte es lange, auch deshalb, weil meine
Eltern sie auf ihre Art betonten oder unabsichtlich abänderten. Der Ausweis war
der Eisweis, die
Wartefrist die Wortfrisch und Niederlassung klang aus ihrem Mund wie Niidär-lasso.
Vater hatte fast ein halbes
Jahr, ohne dass er es wusste, schwarzgearbeitet. Alles gut, sagte sein
damaliger Arbeitgeber, der Metzgermeister Fluri, Papiere sind unterwegs. Ein
Arbeitskollege, der meinen Vater mochte, hat ihm den Tipp gegeben, he, Mik,
der Fluri verdient viel besser an dir, schwarz, verstehst du? Knappe
neunhundert Franken hatte Vater am Monatsende in seinem Kuvert, Essen und Miete
für das Zimmer oberhalb der Metzgerei wurden ihm vom Lohn abgezogen. Das sei
wie eine Ohrfeige gewesen, der Tipp seines Kollegen, erzählte Vater, er habe
eins und eins zusammengezählt, seinen ganzen Mut zusammengenommen und zu seinem
Chef gesagt: Wenn
kein Papier, Miklós gehen. Und Vater, der erstaunt war, dass sein kleiner Satz
eine so grosse Wirkung hatte. Ein paar Wochen später habe er nämlich die
Arbeitsbewilligung und eine kleine Lohnerhöhung bekommen, die er gar nicht
gefordert hatte, damals habe er ja gar nicht gewusst, dass seine Kollegen mehr
als das Doppelte verdienten: Warum nicht? Wir reden hier nicht über den Lohn!,
das sei einer der ersten Sätze gewesen, die er begriffen habe, so Vater.
Was Vater damals auch nicht
wusste, dass nämlich Schwarzarbeit den so genannten Familiennachzug hinauszögerte,
die Familie, die man nach drei Jahren nachziehen konnte, wenn man eine
Aufenthalts- und eine Arbeitsbewilligung hatte ("Familiennachzug",
und ich sehe ein glänzendes, frisch poliertes Auto eines Hochzeitspaares vor
mir, das in die gemeinsame Zukunft fährt, und ich höre das scheppernde, billige
Geräusch der Blechbüchsen, die, an Schnüren festgebunden, hinter dem Auto
hergezogen werden).
Und dann hat der Fluri schöne
Briefe geschrieben für uns, an die Fremdenpolizei — ich bin ihm dankbar dafür,
sagte Vater —, er ist schuld, dass unsere Kinder noch ein halbes Jahr länger
nicht kommen konnten, fluchte Mutter, meine Eltern, die sich heimlich stritten,
ich, die sie manchmal belauschte, so auch in dieser Nacht; ich war noch nicht
lange in der Schweiz, und ich erinnere mich an viele schlaflose Nächte, und
oft, wenn ich meine Eltern belauscht hatte, wirbelten die Wörter in meinem
Kopf wie Laub an einem regnerischen, stürmischen Herbsttag, Wörter auf
Ungarisch wie Papiere, Polizei, Briefe, dankbar, deutsche Wörter wie
Familiennachzug, Schwarzarbeit, und wahrscheinlich hatte meine Mutter damals
getrunken, was sie sehr selten tat, ich höre heute noch ihre Stimme, schrill in
ihrer Verletztheit, drei Jahre, zehn Monate, zwölf Tage, bis die Einreisebewilligung
endlich da war, für die Kinder.
Mit welchem Wort seid ihr
gekommen, frage ich, als die Champagnerflasche leer ist, Vater aufsteht, um
eine zweite zu holen. "Arbeit".
Wir übernehmen alles von den
Tanners: Büchsenbohnen, unzählige Beutel Bratensauce, gefrorenes Brät, Pommes
Duchesse, egal, auch wenn wir wissen, dass wir das meiste gar nicht brauchen
können: Ravioli aus der Büchse, Fleischkonserven mit Sulz, Ochsenschwanzsuppe
(was ist das überhaupt, kann man Ochsenschwänze essen?, ja klar, meinte Mutter,
ihr kennt das, und sie übersetzte uns für ein Mal das Wort auf Ungarisch, ach
so, sagten wir und fanden, dass "Ochsenschwanz" ungeniessbar klingt),
wir übernehmen alles, weil wir mit diesem Geschäft ein Glückslos gezogen haben.
Am dritten Januar 1993
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