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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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und meine Augen
preisgibt, mich vor diesem Dalibor nicht ausreichend schützt. Dass er so dreist
schaut wie es eigentlich nur Kinder tun, das beeindruckt mich und irritiert
mich, und weil es mich irritiert, ärgere ich mich schon wieder; ich klopfe den
Kaffeesatz in den Behälter, klopfe nochmals, um mich abzulenken, drehe dann am
Schalter der Mahlmaschine, um dieses hektische, mahlende Geräusch zu hören, und
als ich das nächste Mal den Kopf hebe, steht er vor mir, zwischen uns die
Cimbali, streckt seinen Arm über die vorgeheiz ten Tassen, hält mir den
Zettel hin, und da ich mich nicht beeile, ihn entgegenzunehmen, wartet er, und
mein Kopf sucht, mit gesenktem Blick, den richtigen Satz, und die Situation ist
nicht gerade romantisch, wenn man bedenkt, dass ein Zettelchen mit Namen und
Telefonnummer über die beheizte Tassenabstellfläche einer Cimbali gereicht
wird, Tassen, die zusätzlich, um die Wärme optimal zu speichern (damit der
Kaffee wirklich schön heiss bleibt), mit zwei Küchentüchern abgedeckt sind.
Dass eine junge Frau nichts anderes zu tun weiss, als unnötigen Lärm zu
produzieren, das tut, was sie normalerweise vermeidet, ihn, der immer noch
seelenruhig blickt, offenbar vertreiben möchte, indem sie alle Kolben
ausspannt, die Sätze ausklopft, wieder einen Kaffee einspannt, obwohl Glorija
nichts mehr bestellt hat, sich sogar bückt, um das Radio anzudrehen; thanks for your help, thanks
for your time, sagt er, sie, die sich weiterhin betont beschäftigt gibt, die
Edelstahlfront der Cimbali zu polieren beginnt, und als er schliesslich das
eine Küchentuch zurückschlägt, den beschriebenen Zettel zwischen zwei
umgedrehte Tassen schiebt, muss sie doch endlich seinen Blick erwidern, was ihn
zu einem kurzen, betörenden Lächeln verleitet, und sie, die an seinen Lippen
hängen bleibt, nicht wegen seinem Lächeln, sondern weil er fehlerhafte Zähne
hat (so wie sie), und dann, dann ist er plötzlich weg.
    Dein Freund, fragt Glorija und
flattert mit den blauen Augendeckeln. Darauf muss ich dir doch nicht antworten,
oder?, ich, die den Zettel einsteckt, kann es kaum erwarten, ihn anzurufen,
male mir aus, wie er sich am anderen Ende meldet, ich, die sich den ganzen Tag
zu erinnern versucht, wie er aussieht, was für eine Augenfarbe er hat, dunkel?,
oder hell?, ob er eine hohe Stirn hat, eine schmale oder breite Nase, aber ich
kann mich an nichts mehr erinnern.
    Bastic?, sagt er, einmal,
mehrere Male, weil ich nicht antworte, hallo, hallo, und ich überlege mir, wie
viele Tage es dauern wird, bis ich antworten werde, aber es dauert keinen
einzigen Tag, ich bin's, antworte ich nach ein paar Minuten, die von der
Cafeteria, und meine Stimme klingt erstaunlich unbeteiligt, vielleicht weil
mich der schlechte Geruch in der Telefonkabine ernüchtert. Möchtest du mich
sehen, fragt er sofort.
     
    Mein Land ist im Sterbebett,
sagt er, und ich bin ein Flüchter, du bist ein Flüchtling, sage ich, und wenn ich ihn
korrigiere, lacht er, zeigt seine schiefen Zähne.
    Die Bänke hier sind nicht
zerschossen, ausserdem haben sie Lehnen. Wollen wir uns setzen?
     
    Wir sitzen also auf einer der
Bänke am See, ein zerfleddertes Wörterbuch zwischen uns, das uns verbindet,
und wir denken uns weg vom gegenüberliegenden Ufer, malen uns den Horizont
aus, the
sea, das
Meer, das Dalibor so vermisst, dass er nachts aufwacht und die salzige Luft
auf seiner Zunge schmeckt (das schöne Wort für Meer in seiner Sprache: more), er erzählt mir von seinem Meer
bei Dubrovnik, und ich erzähle ihm von meinem Fluss, ich habe hier noch nie
jemandem von meinem Fluss erzählt, sage ich, und er fährt mir mit seinen ausgesprochen
schönen Fingern über die Stirn, und die kleinen Furchen auf deiner Stirn sind
wie die winzigen Rinnsale eines Flusses, sagt er, seine Finger, die Zeit
haben, so weiss sind, und trotzdem kann ich deine Adern nicht sehen, sage ich,
und doch sollten wir baden, sagt er, auch wenn my fantastic body sich gegen Süsswasser sträubt
(und ich werde Nomi von Dalibor erzählen, ich werde ihr haarklein alles
beschreiben, dass er von my fantastic body spricht, dabei so kindlich
lächelt, dass sich seine stolze Überheblichkeit sofort an eine einnehmende
Naivität verliert, Dalibor, der so dichtes Haar hat wie Onkel Piri, dessen
Augen so sehend sind, dass ich sie immer anschauen möchte, ein Blick, dem ich
schon lange nicht mehr begegnet bin), er kann unmöglich Haare an den Beinen
haben und am Rücken schon gar nicht, wenn er

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