Abonji, Melinda Nadj
ich. Sag ihr, sie soll
ihre Telefonnummer dalassen, wir würden uns melden, falls sich die Situation
ändert. Ihm, sage ich, es ist ein er. Die Chefin, die einen Moment über mich
staunen muss, der Dampf, der vor sich hinschnaubt, dann kannst du dir die
Arbeit sparen, wo willst du denn hin mit einem Mann?, und die Chefin zwinkert
mir zu, wir wollen unseren Hahn im Korb nicht aufscheuchen, oder? Aber ein
Rausschmeisser wäre doch praktisch, findest du nicht?, und die Chefin ist so
überrascht, dass sie lachen muss, und ich, ich will die Gelegenheit beim Schopf
packen, wen würdest du denn rausschmeissen lassen, frage ich rasch, den
Pfister?, oder den Tognoni?, die Schärers sicher, was meinst du?, aber schon
ist das Lachen wieder verstummt, das Gesicht der Chefin, das wieder müde wirkt,
Ildi, wir können froh sein, wenn wir nicht rausgeschmissen werden, froh?,
froh!, und die Chefin nimmt das Eisen in die Hand, füllt Wasser nach, die
vielen Flüchtlinge, die kommen und noch kommen werden, helfen uns nicht dabei,
beliebter zu werden. Du gibst es also zu, dass sie uns nicht mögen, dass sie
uns weghaben wollen? (Meine Stimme, die triumphieren will.) Zugeben?, du hast
mich falsch verstanden, es kommen jetzt so viele Jugos, da sind die Schweizer
abweisend, wir wären auch abweisend in ihrer Lage, verstehst du? (was für eine
Lage, Schieflage? Schräglage? Ablage? Zulage?, mein Kopf turnt), wenn eine
Masse kommt, dann kannst du keine Anteilnahme erwarten an einem
Einzelschicksal, und ich, die sprachlos ist, überlege mir, warum diese
senfgelben Tischtücher, die wir von den Tanners übernommen haben, so gut ins Mondial passen — aber es will
mir nicht einfallen. Weisst du, wie viele gekommen sind bis jetzt, frage ich.
Viele, ein paar tausend sicher, auf jeden Fall so viele, dass die Schweizer
darüber reden und Angst haben, die Chefin, die das Tischtuch drittelt, zusammenlegt.
Und damals?, als ihr gekommen seid?, hattest du auch so viel Verständnis für
die Angst der Schweizer? Nein, damals habe ich das noch nicht begriffen, sagt
Mutter und legt das frisch gebügelte, zusammengelegte Tischtuch auf den Stapel,
wir müssen uns unter Kontrolle haben, nichts weiter, damit müssen wir uns
abfinden. Kann man so leben, frage ich Mutter. Ja natürlich. Und ich, die sich
an der Türklinke festhält, Mutter in die Augen schaut, ich glaube dir nicht,
sage ich leise, wahrscheinlich unhörbar für Mutter, die sich bereits wieder
über das Bügelbrett beugt, nach einem neuen Tischtuch langt.
Schreib mir deine Telefonnummer
auf, sage ich, im Moment brauchen wir niemanden, aber das könnte sich bald
ändern, your
phone number and jour name please!, und bevor er schreibt, fragt er, ob es stimme, dass
hier nur Jugoslawen arbeiteten, sein Cousin, der schon länger im Dorf wohne,
habe ihm das erzählt, sein Cousin, der gern Geschichten erfinde, was ja
unterhaltsam sei, aber zu unangenehmen Situationen führen könne. Und ich frage
ihn, ob es irgendwas ändern würde, wenn er wüsste, dass es stimmt, dass wir
alle Yugoslavians sind.
Schon möglich, antwortet er, lächelt, nimmt dann den Schreiber, Dalibor Bastic,
gefällt dir mein Name? Und ich möchte nicht, dass er meinen Kopf sieht, der
sich schon wieder nicht beherrschen kann, unangenehm heiss ist, und ich drehe
mich um, ziehe an meinem Kleid und habe das Bedürfnis, mich hinter der Theke zu
verschanzen, aber ich bleibe stehen — Glorija, die sich nervös an mir
vorbeidrückt, um die bestellten Kaffees selber einzuspannen, hörst du nichts
mehr?, murmelt sie im Vorbeigehen — ich, die nach hinten schaut, zu ihm, der
sich sichtlich amüsiert, sage, dass ich mich noch nicht vorgestellt hätte, und
ich, die doch beweisen muss, dass sie die Situation im Griff hat, dein Name ist
etwas merkwürdig, strange, sage ich, aber er hat was, muss ich sagen. Dein Kleid hingegen passt
nicht zu dir, antwortet er, man könnte meinen, du arbeitest in einer
Zahnarztpraxis, ja, das tue ich auch, aber das erkennen nur ganz geschulte
Augen, professional
eyes; Glorija,
die mich höflich darum bittet, meine Arbeit wieder aufzunehmen, sorry, sagt er, ich wollte dich nicht
aufhalten!
Und als ich wieder hinter der
Cimbali stehe, bläst er sich weiter auf, steckt sich eine Zigarette an, blickt,
indem er den Rauch in meine Richtung wirbelt, unverhohlen zu mir, und natürlich
muss ich mich ärgern, dass jede meiner Handbewegungen auf ihn bezogen ist, es
nervt mich, dass die Cimbali, die doch nur meine Nasenspitze
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