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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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so weiss ist!, und ich, ich
erwarte, dass er sich auszieht, sich beiläufig sein Hemd aufknöpft, während er
an seiner filterlosen Zigarette zieht, ich erwarte, dass er zu mir sagt, komm
schon, nicht so schüchtern, zieh dich aus, ich glaube sogar, dass er mit seinem
Blick fähig ist, die Schwäne zu beschwören, sie sollen an Ort und Stelle schwimmen,
um uns beim gemeinsamen Bad zuzugucken, ich halte es auch für möglich, dass er
den Himmel bittet, sich mit der Dämmerung zu beeilen, damit unsere Körper sich
im schönsten Abendrot baden; und Dalibor steht auf, krempelt seine Hose hoch,
macht ein paar Schritte Richtung Seeufer, und ich schaue ihm zu, dem Flüchter, wie er seinen Körper fallen
lässt, in gebückter Stellung und mit hängendem Kopf nach flachen Steinen
sucht, sich wieder aufrichtet, einen Moment lang wie ein Sportler vor dem
Startschuss wartet, um dann die Steine fliegen zu lassen, im flachen Winkel,
damit sie die Wasser-Oberfläche für einen Sekundenbruchteil berühren, die Kraft
dieser Berührung so umsetzen, dass sie sofort wieder in die Luft schnellen, und
ich überlege mir, wie man dieses Geräusch von übers Wasser hüpfenden Steinen
beschreiben könnte (man hört die Luft, die Geschwindigkeit in der Luft, das
spitze, feine Geräusch des Steins, der auf Wasser trifft, ein federndes
Geräusch, könnte man sagen, die Energie zwischen den Elementen Wasser, Luft und
Materie?, aber ich hatte noch nie eine Ahnung von Physik), Dalibor, der sich
wieder zu mir dreht, mit seiner hochgekrempelten Hose und einem Stein in der
Hand, schau dir diesen Stein an, ist er wertvoll, precious?, würde sich irgendwas ändern,
wenn es diesen Stein nicht gäbe?, was fragst du mich da, antworte ich. Vergiss
es, sagt er und wirft den Stein hoch in die Luft, erzähl mir etwas von dir, von
deiner Familie in der Vojvodina, weisst du, ich habe einmal einen Freund in
Novi Sad besucht, ich habe mich sofort verliebt in diese Stadt, der Stein, der
mit einem hellen Geräusch auf die anderen Steine zurück fällt. Ich kenne Novi Sad
nicht, antworte ich, meine Familie lebt in einer Kleinstadt, etwa eine Stunde
von Novi Sad entfernt, aber meine Schwester lebt da, sie arbeitet beim Radio,
mehr weiss ich nicht, ich kenne sie kaum, sie ist meine Halbschwester, sage
ich, half-sister.
Half?, und
Dalibor setzt sich neben mich, ganz nah, ich, die riechen kann, dass er
schwitzt, sage, ja, sie ist die Tochter meines Vaters aus erster Ehe. Na und,
sagt Dalibor, entweder sie ist deine Schwester oder sie ist es nicht, das
entscheidest du. Ich komme mir naiv vor neben dir, sage ich. Das ist nicht mein
Problem, antwortet Dalibor, und wir drehen uns gleichzeitig zueinander, er
fährt mit seiner Hand über meine Wange, murmelt etwas in seiner Sprache.
    Ich weiss nicht viel, sage
ich, von meiner Familie, und ich zeige mit meinen Fingern, wie wenig ich weiss. Who knows
much, sagt
Dalibor, erzähl mir das, was du weisst.
    Vor drei Wochen hat die
Schwester meiner Mutter, meine Tante Icu, uns einen Brief geschrieben — und er
ist offenbar angekommen, sagt Dalibor. Sie schreibt, sie müsse sich stundenlang
anstellen, wenn sie ihre Rente abholt, und im Februar, als sie endlich an die
Reihe gekommen sei, war ihre Rente noch einen Apfel wert. Äpfel habe sie zum
Glück noch selber, in ihrer Vorratskammer, sie schreibe uns das nur, damit wir
verstünden, wie viel das Geld noch wert sei, nämlich gar nichts, nicht einmal
zum Arsch wischen könne man es gebrauchen, dafür sei das Papier zu hart. Und
die Nullen hätten gar keinen Platz mehr auf den Scheinen. Es gäbe Leute, die
würden sich mit Schlangestehen Geld oder besser das Essen verdienen. Sie würden
sich anstellen und dann, wenn sie an die Reihe kämen, dem Meistbietenden den
Platz übergeben, für drei Eier, ein Brot, was auch immer, und die, die ihr Geld
auf die Art ein paar Stunden vorher abholen könnten, beeilten sich, es schnell
wieder los zu werden, sie kauften irgendwas, auch das, was sie gar nicht
brauchten, 10 Kilo Bouillon, Knöpfe, Wäscheklammern, ein bisschen Stoff, egal,
Hauptsache, das Geld sei wieder weg. Geld sei also keins da, man müsse sich
praktisch alles ohne organisieren, sie hätten noch genügend zu essen, aber kein
Benzin, die Äcker würden wieder mit Pferden bestellt, kein Öl, keine Kohle, um
zu heizen, und ausgerechnet jetzt sei es so kalt, sie müssten im Wald am
Flussufer Holz sammeln, was verboten sei, aber wer kümmere sich in dieser Zeit
um solche Verbote. Am

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