Abonji, Melinda Nadj
Schlimmsten sei die Angst, dass die Männer eingezogen
würden, Bela habe den Einmarschbefehl schon bekommen, Csaba auch (mein Cousin
und der Mann meiner Cousine Csilla, sage ich), Bela sei bei einem Freund
untergetaucht, gehe nicht mehr zur Arbeit, und Csaba, der sei über die Grenze
geflüchtet, nach Ungarn, und Csilla erleide das Schicksal vieler Frauen, müsse
jetzt, in dieser unglückseligen Zeit, mit Nichts für ihre Zwillinge sorgen, und
sie selbst könne wenig helfen, der Piri sei scharf wie ein Wachhund und
unversöhnlich wie ein schlechter Vater (und ich erzähle Dalibor Csillas
Geschichte). Ansonsten, was solle man noch schreiben?, es hiesse, die Milch
werde teurer, dabei werde das Brot teurer, ja, die schönen Ablenkungsmanöver,
sagt Dalibor, es gäbe viele Eltern, die könnten ihre Kinder nicht mehr zur
Schule schicken, weil sie das Busücket nicht mehr bezahlen könnten, die Schulen
seien halbleer, wir werden dumm, hat Tante Icu geschrieben, wenn wir es nicht
schon sind.
Es trifft immer die Falschen,
sagt Dalibor, fährt mit seinem Zeigefinger über mein Grübchen beim Hals, in
zehn Jahren wird man mehr wissen, und dann ist es zu spät. Erkenntnisse, die
nichts mehr bringen.
Wie meinst du das, frage ich.
Für all die Toten, für sie
kommt jede Erkenntnis zu spät ... aber du kannst froh sein, dass eure Stadt noch nicht geteilt ist wie viele
andere Städte, It is evident, sagt Dalibor, dass man Städte, ein ganzes Land nicht
nach Ethnien aufteilen kann, und wenn man dies tut, hat man den nackten
Wahnsinn des Krieges. Und die demokratischen, westeuropäischen Politiker, die
diese Aufteilungen zulassen, sich mit den kriegstreiberischen Nationalisten an
einen Tisch setzen. Sag mir, warum nicht mit den Oppositionellen, die die
demokratischen Werte suchen, tell me?
Wir nehmen Dalibor mit, Mitte
Mai, ins Wohlgroth, weil wir hoffen, dass wir in unserem Lieblingscafe Arbeit
für ihn finden, wo er zwar wenig oder fast nichts verdienen wird, aber
wenigstens eine Arbeit hat, und wir versuchen ihm zu erklären, worum es geht,
dass das Haus besetzt ist, mehrere Häuser, eine ehemalige Fabrik, dass etwa
hundert Menschen da leben, von den Konzerten erzählen wir ihm, der Volxküche, es sei ein Versuch, sagen wir,
die Dinge selber in die Hand zu nehmen, wir sprechen mit Händen und Füssen und
Englisch und dem serbokroatischen Wörterbuch, Nomi und ich, wir spüren, dass
wir eine Aufgabe haben, nämlich ein politisches Programm zu erklären, wir legen
uns fürs Wohlgroth ins Zeug, ich vor allem, als müsste ich einen hiesigen,
konservativen Politiker von dessen Wichtigkeit überzeugen, dabei tue ich das,
was die meisten Politiker tun, die Dinge beschönigen (aber das fällt mir erst
jetzt auf, im Nachhinein, dass ich mich im Grunde jedes Mal, wenn ich im
Wohlgroth war, schutzlos fühlte, am ganzen Körper angreifbar, Angst hatte, dass
jeden Moment etwas passieren könnte, ein Hund mich anfällt, zwei Hunde mich in
die Enge treiben, ein Mensch mich mit hungrigem Blick fixiert, du siehst nicht
so aus wie wir, was hast du hier zu suchen?, aber da war der drängende Wunsch,
einen Ort zu haben, der mich definiert), und als wir im Hauptbahnhof aus dem
Zug steigen, bleibt Dalibor auf dem Perron stehen, er schaut durch uns hindurch,
schaut in die Richtung, aus der wir eingefahren sind, dreht sich dann in die
andere Richtung, ich mag diese Bahnhöfe nicht, die einen gefangen nehmen, sagt
er, zu den Tauben, zum Perron, auf jeden Fall nicht zu uns, und Dalibor schaut
sich die Überdachung des Bahnhofs an, die Bänke, die Gepäckwagen, die man mit
Münzen füttern muss, er dreht seinen Kopf zu den kleinen, grauen
Lautsprechern, die in bestimmten Abständen den Perron säumen und mir noch nie
aufgefallen sind, it's better than sightseeing, sagt Dalibor lachend, hakt sich dann bei uns ein, and now, let's try to get a
job!
Ein paar Stunden später
schreien wir uns an im Keller, es ist unmöglich, brüllt Dalibor, und ich
erinnere mich, dass ein grünes Licht über sein Gesicht zuckte, ich kann an so
einem Ort nicht arbeiten. Warum hast du mir das nicht oben gesagt, im Cafe,
schreie ich zurück, halte mein rechtes Ohr zu Dalibor, schaue zur Bühne, auf
der ein Typ mit mehrfarbigem Haar tanzt, mit seinem Mikrofonständer, er presst seine
Stimme, bis sich dicke Adern zeigen, an seinem Hals, weil ich es nicht glauben
konnte, dass ihr davon überzeugt seid, ich könnte hier arbeiten, so Dalibor. Du
würdest also lieber im Mondial
Weitere Kostenlose Bücher