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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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ich, immer
noch vor ihm stehend, Mark, der seine Augen schliesst, sein Gesicht, das im
nächsten Moment nass ist, du hättest gar nicht mit mir anfangen sollen, sagt er
leise, du hast es damals schon gewusst, schon nach unserem ersten Mal (bei Mark
zu Hause, in seiner Zweizimmerwohnung, an der befahrensten Strasse der Stadt,
wo die Lastwagen und Autos von sechs Uhr früh bis Mitternacht mitten durch die
Wohnung donnern), du bist aufgestanden, hast dich in die Küche gesetzt und hast
geweint, ich hab dich beobachtet, sagt Mark, mit geschlossenen Augen, der
Innenhof, der sich immer mehr füllt, ein Paar, das sich schmusend aufs Sofa
wirft, ich gehe jetzt, vielleicht sehen wir uns mal, an der Uni, sage ich, und
Mark, der jetzt seine Augen öffnet, ja, sagt er, geh endlich, ich weiss gar
nicht, warum du immer noch hier stehst!
    Und dann, dann bin ich mehrere
Stunden gegangen, ich habe mich leicht gefühlt, warm, wärmer als die Luft,
wahrscheinlich weil meine Schritte schnell waren, und die Uhren am Bahnhof
zeigten mir, dass es spät war, nach zwei, und mir fielen die gefleckten Gehsteige
auf, all die zertretenen Kaugummis, ein Taxifahrer, der über seinem Steuerrad
eingenickt war, ist nicht viel los heute, sagte ein anderer, der an seiner
Wagentür lehnte, rauchte, ist zu warm heute, und ich nickte, und ich war
überzeugt, dass ich Dalibor einholen könnte, ich ging, ging immer schneller,
vielleicht bin ich zwischendurch sogar gerannt, ich habe mich gefragt, was ich
an dieser Stadt liebe, ein paar Orte, die in keinem Reiseführer vorkommen, ein
Tramdepot, eine Allee mit riesigen Platanen, eine nackte Frauenstatue, die
mitten auf einer kleinen Wiese steht, ein paar Ramschgeschäfte, die ich regelmässig
mit Nomi aufsuche, die öffentlichen Verkehrsmittel, mit denen man überall und
pünktlich hinkommt, und erst kürzlich ist mir aufgefallen, dass Städte für mich
als Ganzes nie existieren, sondern dass sie zerfallen, in winzige Orte, die ich
mag, und ich schaue auf meine Schuhspitzen, ausgelatschte, rote Converse, die
mich durch die Nacht tragen, und ich will blindlings durch die Stadt gehen, so
lange, bis ich bei Dalibor bin, und ich werde ihm in die Arme laufen, davon bin
ich überzeugt, und wenn wir uns heute nicht wiedersehen, dann sehen wir uns nie
wieder, denke ich, und dieser Gedanke muss schnell wieder weg, ich muss mich
auf ihn konzentrieren, auf seine weisse Haut, auf die Art, wie er seine Zigarette
zwischen Daumen und Zeigefinger hält, seine Lippen, die immer leicht zittern,
wenn sie erzählen, es ist unmöglich, jemanden aus den Augen zu verlieren, wenn
man ständig an ihn denkt, Dalibors Ohren, die so aussehen wie weiche,
verletzliche Wesen, Schmuckstücke, habe ich zu ihm gesagt, ihm das Wort auf
Englisch zu erklären versucht, meine Ohren sind wertvoller als Diamanten, hat
er geantwortet, gelacht, die dunklen Spuren auf seinen Zähnen, der schiefe
Rhythmus seiner Zähne, ein Klavier im Mund haben, so sagt man, das Bild stimmt
nicht, denke ich, warum fängt meine Liebe zu ihm bei den Zähnen an, frage ich
mich, die Augen, ja, logisch, aber die Zähne?, und meine Schritte werden immer
schneller, meine Converse treiben mich an, seit Matteo hast du dich nie mehr
verliebt, sagen sie, und es klingt wie Spott oder eine spöttische Wahrheit,
Matteo, das ist sehr, sehr lange her, Matteo und Dalibor, und wenn ich mir die
beiden nebeneinander vorstelle, sehen sie sich zum Verwechseln ähnlich, es
gefällt mir, dass sie sich in meiner Vorstellung ähneln, Matteo, von dem ich
nichts weiss, nur, dass er seit Jahren wieder in Italien lebt, und ich gehe am
Fluss entlang, strecke meine rechte Hand zum Geländer, lasse sie da, während
ich weitergehe, das Eisen, das kalt ist, kälter als das Wasser? Matteo, der
ganz plötzlich weg war, es hiess, die Familie de Rosa habe sich nicht
eingelebt, Matteo, den ich am Waldrand getroffen hatte, am See, in der
Unterführung, und wir küssten uns auf Ungarisch oder Italienisch, das heisst,
wir brachten uns die wichtigsten Wörter bei, und Nomi und ich, wir spielten
Pingpong im Freibad, als Matteos Schulfreund uns erzählte, dass sie abgereist
seien, Matteo und seine Familie, und ich, die den Pingpongschläger in der einen
Hand hielt, den kleinen weissen Ball in der anderen, Matteo, der mir nicht
gesagt hatte, dass sie weggehen würden, kein Wort, und Nomi nahm mir den
Schläger aus der Hand, hängte sich mit ihrem Zeigefinger an meinen Daumen, er
kommt bestimmt wieder, sagte sie,

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