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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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und ich war ganz sicher, dass im nächsten
Moment irgendetwas Wesentliches mit mir geschehen würde, das unübersehbar
wäre, das kleine Wesen, das gegen meinen Brustkorb hämmerte, würde aus mir
herausspringen, und ich hätte eine Wunde, auf die ich zeigen könnte, aber ich
weinte nicht einmal; ich hörte dem vergnügten Kreischen der Kinder zu, die
schaukelten oder an der Kletterstange turnten, ich sah ihre kleinen, farbigen
Werkzeuge, mit denen sie Burgen bauten, Löcher schaufelten, komm, wir holen uns
ein Eis, sagte Nomi, zog an meinem Finger, und ich fühlte, dass meine erste
Liebe endgültig vorbei war, damals war ich dreizehn Jahre alt.
    Ich ziehe meine Hand zurück,
gehe schneller, will nicht mehr an Matteo denken, sondern an Dalibor, ich drehe
mich um, strecke meinen Daumen in die Luft, drehe mich wieder um, als ein Auto
an mir vorbeifährt, und ich gehe noch eine ganze Weile, bis mich ein Paar
mitnimmt, in seinem weissen Käfer.
    Dalibor sitzt, wie ich gehofft
habe, am See, da, wo wir uns bis jetzt meistens getroffen haben, auf den
Steinen sitzt er mit angezogenen Beinen, raucht, singt eine kleine Melodie vor
sich hin. Ich bleibe hinter ihm stehen, und alle zurechtgelegten Sätze sind
weg, Dalibor, den ich noch nie singen gehört habe, sein Sprechgesang, der der
Frühlingsluft, dem dunklen See etwas in seiner Sprache erzählt (alle Lieder
aller Sprachen müsste man doch verstehen, denke ich, Gott, der seine
babylonische Sprachverwirrung auf die gesprochene Sprache hätte beschränken
müssen; Dalibors Lied ist so schön und absichtslos gesungen, berührt mich so
sehr, dass ich es unerträglich finde, seine Worte nicht zu verstehen). Als es
eine ganze Weile wieder still ist, am gegenüberliegenden Seeufer nur noch
wenige Lichter brennen, frage ich Dalibor, worüber hast du gesungen? Dalibor,
der sich umdreht — und ich bin mir sicher, dass es die weich gesungenen Töne
sind, die seine Gesichtszüge verändert haben —, mein Lieblingslied, sagt Dalibor,
es erzählt vom Meer, dass es tief ist, weit und grausam, und er streckt seine
Hände nach mir aus, wir umarmen uns, flüstern uns einzelne Worte ins Ohr, wir
küssen uns, zum ersten Mal, es ist schön, dass du hier bist, wir küssen uns
mehrsprachig, ich habe mich in dich verliebt, auf Ungarisch, Deutsch, Serbokroatisch,
Englisch.
     
    Wir
     
    Im Juli feiern wir Mutters fünfzigsten
Geburtstag, wir sitzen im Auto, fahren den See entlang, an Häusern, Villen,
Schiffs-Anlegestellen, Badeanstalten vorbei, die einen freien Blick auf den See
erschweren, und Vater schiebt eine Kassette in den Recorder, echte, ungarische
Zigeunermusik, sagt Vater, steuert einhändig, schnippt mit der anderen zur
Musik, streichelt zwischendurch Mutters Knie, Nomi, die auf eine Baracke zeigt,
an der wir gerade vorbeifahren, weisst du noch?, aber sicher, die Diskothek des
Nachbardorfes, in der wir uns an Samstagabenden den Kopf verdrehen Hessen, von
der Spiegelkugel und von Jungs, die schon ein Mofa fuhren, Vater, der uns immer
um die gleiche Zeit abholte, um elf (wir, die ihm klarzumachen versuchten, dass
er wenigstens auf der anderen Strassenseite warten und nicht aus dem Auto
steigen soll), schaut mal her, sagt Mutter zu uns und zu Vater, fahr bitte ein
bisschen langsamer!, hier haben wir gewohnt, als wir in die Schweiz gekommen
sind, und Mutter zeigt auf ein baufälliges Häuschen auf der Seeseite mit drei
niedrigen Stockwerken, wirklich, sagt Nomi, warum habt ihr uns das noch nie
erzählt?, hier sind wir ja schon so oft vorbeigefahren. Bei euch ist man nie
sicher, ob euch das interessiert, sagt Vater lachend, und wisst ihr, wir haben
mit Sändor und Iren zusammen gewohnt, auf einem Stockwerk, wir haben uns Küche
und Bad geteilt, und Vater dreht den Kopf zu uns, nach hinten, wir waren damals,
vor mehr als zwanzig Jahren, richtig modern; Mutter, die Vater darauf aufmerksam
machen muss, dass wir auf der Strasse sind (Vater, der sich zu Hause einen
Aperitif eingeschenkt hat, weil heute Mutters Geburtstag ist, obwohl das nicht
ganz stimmt, eigentlich wäre Mutters Geburtstag am Freitag gewesen, aber am
Freitag, da konnten wir nicht feiern, deshalb haben wir die Feier auf den
Sonntag verschoben, und am Sonntag, da trinkt Vater eigentlich immer einen
Aperitif).
    Wie lange habt ihr so gewohnt,
in eurer WG, frage ich (und WG, Wohngemeinschaft, das war auch so ein Wort, das
wir irgendwann einmal unseren Eltern erklären müssten; was?, freiwillig mit
Fremden zusammen wohnen?, sich

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