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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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Männer auf dem rechten Auge blind waren, keiner von
den Nationalisten sprach, schon gar nicht von diesen umheimlichen Legierungen
zwischen Kommunisten und Nationalisten, die im ehemaligen Jugoslawien jetzt den
Hass schürten; und als Nomi zu mir sagte, ich wirke so abwesend, antwortete
ich, es komme mir so vor, wie wenn wir alle Stellung bezogen hätten: die Männer
betrunken, politisierend am Tisch, die Mütter flüsternd geheimnisvoll am
Tischrand, und wir, die Töchter, stünden hier, am Fenster, könnten das Ganze
beobachten, seien beteiligt und unbeteiligt. Ja, wir sind weder Fisch noch
Vogel, sagte Aranka, oder eben beides, meinte Nomi; und wir winkten unseren
Eltern zu, gingen nach draussen, um frische Luft zu schnappen, am See, das
dunkle Wasser erzählte mir nochmals Mutters Geschichte, die Geschichte meiner
Grossmutter, die ich nie kennengelernt habe, und die ruhigen Wellen stellten
mir eine Frage: warum sind Mutter und Vater in die Schweiz gekommen, was war
der eigentliche Grund?
    Vielleicht hat uns gar nicht
Onkel Móric gefahren, sondern Nándor, wahrscheinlich war das so, weil Nándor,
im Gegensatz zu Onkel Móric, sehr gern redete und beim Reden immer rote Ohren
bekam, seine Ohren, die gleich gross waren wie die Ohren seines Vaters,
ziemlich sicher hat uns Nándor gefahren, weil mir kein plausibler Grund
einfällt, warum Onkel Móric ausgerechnet an diesem Tag so viel hätte reden
sollen, Onkel Móric konnte ganz plötzlich schnell und laut und bestimmt reden,
so dass man meinte, er werde lange nicht damit aufhören, aber so plötzlich, wie
er anfing, hörte er auch wieder auf damit, und wenn ich genauer darüber nachdenke,
hat meistens Nándor den Moskwitsch gefahren und nicht Onkel Móric, dem das Auto
zwar gehörte, der aber immer wieder betonte, dass er lieber und am liebsten
Traktor fahre, Onkel Móric, der Nomi und mich manchmal mitgenommen hatte auf
seinem Traktor, mit uns auf die Felder hinausgefahren war, und ich höre, wie
Onkel Móric sagt, hier, dieses Land, das hat uns früher einmal gehört, und die
Frage, warum einem Land gehören kann und dann nicht mehr, war eine jener
ungestellten Fragen, denke ich heute, Onkel Móric, der, wie gesagt, nie viel
geredet hat, oft dieselben Sätze sagte, vielleicht werde ich es noch erleben,
dass wir unser Land zurückbekommen, und die kleinen blauen Rinnsale auf der
Nase von Onkel Móric, die irgendeine unbekannte Geschichte erzählten.
    Nomi und ich, wir sahen die
Felder, die schwarze Erde der Ebene, wir haben gelernt, was Unkraut ist, wir
haben Hasen gesehen, die Haken schlugen, wir hielten Ausschau nach den Hügeln,
die die Maulwürfe aufgeworfen hatten, und die Vogelscheuchen grinsten uns an,
in ihren glitzernden Kleidern, wir haben gelernt, die verschiedenen Feldblumen
voneinander zu unterscheiden, und wenn Onkel Móric seinen Kopf zum Himmel
drehte, um zu sagen, dass der heutige Tag zu einem Regen hinführt, esöre all az idö, taten wir dasselbe, um zu
verstehen, was unser Onkel damit meinte, und als es zu regnen anfing, haben wir
die Art des Regens benannt, ein sprühender, nieselnder Regen, es schüttet oder
giesst, Hagelkörner, so gross wie Taubeneier, haben wir gesagt; aber warum ein
grosses, weites Stück Land in dieser E,bene einmal uns gehört hatte und jetzt
nicht mehr, das haben wir erst viel später begriffen, als Sie uns davon erzählt
haben.
    Ziemlich sicher hat Nándor uns
mit dem roten Moskwitsch an der Hajduk Stankova abgeholt und uns zum Busbahnhof gefahren, aber vorher
musste er noch, weil es so kalt war wie am Arsch von Sibirien, unters Auto
kriechen, um fluchend zu untersuchen, was los ist, warum die Karre nicht
anspringt, und wir haben deshalb den Bus, den wir eigentlich nehmen wollten,
verpasst, aber weil Sie lieber viel zu früh als zu spät in Belgrad sein
wollten, war das noch kein Grund zur Aufregung, und Nomi und ich, wir hatten
noch ein bisschen Zeit, wir sind die Treppe hochgestiegen, zum Dachstock, haben
den Tauben Futter gegeben, wir haben durch die Ritzen des Daches geschaut, in
den kalten, grauen Novemberhimmel hinein, wir sind die Leiter wieder hinuntergestiegen,
haben unsere Tiere besucht, den Miststock, und wir haben dem Plumpsklo eine
Geschichte erzählt, weil Ihr Plumpsklo ein weisses Häuschen war mit einer
herzförmigen Öffnung, Nomi hat ihre Lieblingsgans von weitem angeschaut und
gesagt: Ich werde dir eine Zeichnung schicken, und wir haben eine ganze Weile
Cicu gesucht, wir haben für unsere Cicu

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