Abonji, Melinda Nadj
liegt, mit zerrissenen Strümpfen, ihr Sprechen,
das sich übergangslos an ein hohes Wimmern verliert, was ist los, frage ich,
knie zu Glorija, versuche, sie zu beruhigen, Marlis, die sich gegen die
Absteilfläche lehnt, wo wir das schmutzige Geschirr hinstellen, zu weinen
anfängt, und Vater, der sich die Hand gegen die Stirn schlägt, in unserer
Sprache flucht, jeder Hund habe Besseres zu tun als das, was er sich hier
mitansehen müsse, mi törtent, was ist passiert, frage ich Vater, du verstehst ja,
was sie reden, sage ich zu ihm, und ich helfe Glorija aufstehen, ein Flohfurz
ist passiert, ruft Vater auf Ungarisch, gar nichts, die eine ist in die andere
hineingerannt, zufällig, und jetzt gehen die beiden aufeinander los, als hätte
die eine ein Attentat auf die andere geplant, bis jetzt waren sie ein Herz und
eine Seele; Glorija, die immer noch wimmert, ein offenes Knie hat, und die
Gäste, flucht Vater, wer bedient die Gäste?, ich geh ja schon, sage ich, und
Dragana, die jetzt verstummt ist, mit dem Rücken zu mir beim Abwaschtrog steht,
zum Fenster hinausschaut (womöglich weiss Dragana in dem Moment schon, dass
sie nicht mehr lange bei uns arbeiten wird, ihre Blusen, die wenige Wochen
später in der Personalgarderobe an drahtigen Bügeln hängen, ein Paar Schuhe,
deren Absätze an der Innenseite abgetreten sind, vergeblich auf die richtigen
Füsse warten, Dragana, die nicht einmal mir sagen wird, dass sie nicht mehr
wiederkommt), du könntest Glorija wenigstens ein Pflaster geben, sage ich beim
Hinausgehen, und dann soll ich wohl noch alle trösten, ruft mir Vater
verärgert nach, ich, die Mutter um Hilfe bitten muss, Mutter, die im Büro über
Zahlen sitzt, und ich versuche ihr in wenigen Worten zu erklären, was passiert
ist, Mutter, die keine Fragen stellt, sondern sofort aufsteht, sich hinters Buffet
stellt, und ich bediene die Gäste, ein paar, die sich die Hälse aus den Köpfen
schrauben, was ist denn los mit der Serviertochter?, und dieses Geschrei, was
war denn das? Nomi, die heute frei hat, mir einflüstert, was ich sagen soll,
Freude, sage ich, nichts weiter, unsere Hilfsköchin und unsere Kellnerin haben
gerade gemerkt, dass sie einen gemeinsamen Bekannten haben, ja, stimmt schon,
überschwängliche Freude klingt manchmal wie Streit!
The real big men ziehen heute ein, ins Mondial,
denke ich, als ich wieder hinter dem Buffet arbeite und Glorija im Service,
nachdem sie von Mutter neue Strümpfe bekommen und sich frisch gemacht hat, ich
bin doch nicht Tudman! Glorija, die mit gepresster Stimme zwischen den
Bestellungen zu mir spricht, also hör mal, wenn eine zu dir sagt, du bist
genauso bösartig wie Tudman, was würdest du sagen? (ich, die an little big men denke, daran, dass ich Dustin Hoffman
nie habe besser spielen sehen), Ildi, sag doch was, Milosevic ist doch der
grösste Verbrecher aller Zeiten, ich würde mich umbringen, wenn der der Chef
wäre von meinem Land, das habe ich dann zu Dragana gesagt, so Glorija, Ildi, du musst mir
doch Recht geben, Milosevic und Tudman, das ist wie Schwarz und Weiss (ich
erinnere mich an fast nichts, nur an Dustin Hoffmans Gesicht, das mich so
beeindruckte in seiner Ernsthaftigkeit), kennst du Tudman, frage ich und bemühe
mich, ein ernstes Gesicht zu machen, nicht zu lachen. Ja aber sicher kenne ich
ihn, ist dir auch schon aufgefallen, dass Tudman schöne, grosse Augen hat?, und
ich schüttle den Kopf, klopfe den Kaffeesatz in den Behälter, Milosevic ist ja
nicht der Staatschef von Bosnien, sage ich, aber er steuert alle Serben,
antwortet Glorija rasch, das weiss doch jeder, und sie stellt die Tassen auf die
Untertassen. Sie sei eine Bosnierin, sagt Dragana, so ich, und du hast mir
einen Kaffee zu wenig getippt. Ildi, bosnisch, das ist eine Erinnerung, die
Erinnerung an etwas Falsches, und Glorija schaut mir in die Augen, wenn wir
Kroaten nicht daran geglaubt hätten, dass wir Kroaten sind, wären wir immer
noch Jugoslawen. Verlierer, meinst du, und Glorija legt die Kaffeelöffel zu den
Tassen, Dragana ist Serbin, ob sie will oder nicht, und bis heute hatte ich
nichts gegen sie, aber wenn sie mein Land beleidigt, dann, und Glorija schiebt
das Tablett auf ihre rechte Handfläche, dann ist es vorbei zwischen uns,
Glorija, die sich in Bewegung setzt, ihre Locken zum Wippen bringt.
Franjo Tudman trägt heute eine
weisse Bluse mit Puffärmeln, denke ich, er hat seine Nägel rot lackiert und das
für sein Alter immer noch dichte Haar frisch blondiert, und
Weitere Kostenlose Bücher