Abraham Kann Nichts Dafür. 66 Neue Satiren.
spürbarer Erregung, »ich habe mir ein Original von der ›Katze auf dem heißen Blechdach‹ ausgeborgt und lade für morgen abend einige Leute ein, die sich den Film ansehen können, während ich ihn kopiere. Willst du auch kommen?«
Und ob ich wollte! Die bloße Erwähnung der »Katze«, dieses epochalen Stückes von Tennessee Williams mit Paul Newman in der Hauptrolle und der göttlichen Elizabeth Taylor auf dem heißen Blechdach, ließ mir einen gewaltigen, nostalgischen Schauer über den Rücken laufen. Ich muß etwa sieben Jahre alt gewesen sein, als ich den Film zum ersten Mal sah, und damals weinte ich wie ein Kind.
Am Samstagabend waren wir vollzählig versammelt. Das Wohnzimmer der Seligs platzte aus den Nähten. Da waren zwei Videogeräte, die halbe Nachbarschaft und eine knisternde Spannung. Felix schaltete den Apparat ein, und schon erschien Big Daddy und belehrte Paul Newman über irgendein Notstandsgesetz. Dann tauchte die göttliche Liz auf und verschlug uns den Atem.
»Wie alt kann sie jetzt wohl sein«, flüsterte eine Stimme aus dem Dunkel.
»Jenseits der fünfzig«, belehrte ein Kenner. »Mit irgendeinem blöden Senator verheiratet.«
»Nein, der war einmal. Jetzt zieht sie mit einem jungen mexikanischen Rechtsanwalt herum. Wahrscheinlich wird der arme Teufel ihr achter Mann.«
»Nein, ihr siebenter.«
Die vorderste Reihe zog eine schnelle Bilanz: da waren zunächst einmal Hilton Junior, dann Henry Ford III., Chevrolet Senior, Mike Todd der Filmproduzent, der Sänger Eddie Fisher, Richard Burton, Frank Sinatra, der blöde Senator, nochmals Burton und jetzt der arme Mexikaner. Insgesamt also zehn. Obwohl die Sache mit Sinatra zweifelhaft war und die zweite Ehe mit Richard Burton eigentlich nicht gezählt werden durfte.
»Also gut«, gab sich die Opposition geschlagen. »Sind es also acht. Wen interessiert denn das überhaupt?«
Genau in dem Moment war die Eherekordbrecherin auf dem Bildschirm zu sehen, wie sie Paul Newman mit geballter Sinnlichkeit anfiel, während sich seine Potenz in die Defensive begab. Natürlich nur im Film.
»Ist euch das aufgefallen?« fragte Felix aus dem Hintergrund. »Diese Taylor wird niemals im Profil aufgenommen. Und zwar wegen ihres Doppelkinns.«
»Doppelkinn? Ha! Das ist schon mehr eine Wampe.« »Erstens heißt es Wamme und außerdem gebraucht man diesen Ausdruck nur bei Rindern«, ertönte die
Stimme eines Sprachpuristen.
»Auch bei Hunden.«
»Unsinn. Höchstens bei Vögeln. Mein Papagei Xaviera hat eine kleine Wamme auf der linken Seite.«
»Mein Kakadu heißt Brutus, ist 46 Jahre alt und singt die Tosca im Mezzosopran.«
»Was Sie nicht sagen.«
»Mein Ehrenwort.«
Inzwischen führte auch Liz eine leidenschaftliche Diskussion mit irgendwem. Es stellte sich heraus, daß es sich um ihre Schwägerin handelte, die eine unübersichtliche Kinderschar ihr eigen nannte. Paul Newman hingegen verbrachte die letzten zehn Minuten damit, sich selbst zu analysieren.
»Wam, wam«, murmelte Felix, während er bei der dürftigen Beleuchtung des Bildschirms ein Lexikon durchblätterte. »Ah, ich hab's! ›Wamme – Hängende Hautfalte zwischen Brust und Bauch etcetera . . . etcetera . . . vor allem bei Rindern.‹«
»Hab ich's euch nicht gesagt?« ließ der Purist verlauten. »Nur bei Rindern.«
»Entschuldigen Sie! Im Wörterbuch steht ausdrücklich ›vor allem‹, nicht ›nur‹.«
»Das ist dasselbe.«
Hier verstummte die Diskussion schlagartig, denn am Bildschirm erschien eine Großaufnahme von Liz.
Im Profil.
»Na ja«, sagte eine der Damen mit enttäuschter Stimme. »Es ist ein uralter Film, deshalb sieht man ihr
Doppelkinn noch nicht so gut.«
»Läppisch«, sagte ihr loyaler Gatte. »Seht ihr nicht, wie sie die ganze Zeit den Kopf krampfhaft hochhält, damit man es nicht sieht?«
Wir richteten unsere Augen konzentriert auf den Bildschirm, um vielleicht doch noch das Taylorsche Doppelkinn zu entdecken.
»In Boston gibt es einen kosmetischen Chirurgen«, verkündete Erna Selig mit sinnlichem Unterton, »wo sie einem ein ganz neues Kinn anfertigen können. Es kostet allerdings ein Vermögen.«
»Ausgeschlossen«, sagte jemand aus der mittleren Reihe. »Mit einem Kinn kann man das nicht machen.
Das weiß ich aus erster Hand.«
»Ach ja? Wieso hat dann Ava Gardner ein glattes Kinn bekommen?«
»Wann?«
Trotz der Dunkelheit war förmlich zu spüren, wie jeder der Anwesenden an seinem Kinn herumfummelte.
»Zum Teufel noch mal«, brach ich
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