Abraham Kann Nichts Dafür. 66 Neue Satiren.
ihnen vorbeifahre, mache ich mir die größten Vorwürfe. Aber schließlich kann ich nicht bei jedem dieser Lümmel stehenbleiben und mich entschuldigen, oder?
Daher habe ich vorige Woche auf meiner Windschutzscheibe eine Gegentafel angebracht: »Tut mir leid, biege nach zwei Häuserblocks ab.«
Natürlich biege ich nicht ab. Ich versuche nur, wie oben erwähnt, mir die Autostopper auf menschlichkultivierte Weise vom Leib zu halten.
Vor einiger Zeit fuhr ich wieder an einem Schülerschwarm vorbei. Da sprang mir plötzlich einer entgegen und fuchtelte mit einer Tafel vor meinem Scheibenwischer herum. Darauf stand kurz und bündig:
»Lügner!«
Das war natürlich ein Tief schlag. Aber ich bin ja keiner von der Sorte, die so leicht kapituliert. Auge um Auge. Am folgenden Tag schlug ich zurück. In großen Buchstaben schrieb ich auf meine Tafel:
»Dichter im Dienst!«
Zur Sicherheit fahre ich jedoch seither einen anderen Weg. Ich kann Kinder nicht leiden sehen.
Antiquitäten
Wie jedermann weiß, sind wir das Volk der Bibel. Kein Wunder also, daß Seligs Reise nach Sodom in unserer Nachbarschaft große Begeisterung ausgelöst hat.
Mein Nachbar Felix Selig hatte seine ganze Familie mitgenommen, und kam tief ergriffen von Sodoms historischer Größe zurück. Ja, mehr noch, einen Teil dieser historischen Bedeutung brachte er in einem Plastiksack nach Hause. Es waren dies einige Steine aus den Bergen von Sodom. Am Tag nach seiner Rückkehr lud Felix die gesamte Nachbarschaft zu einer improvisierten Vernissage ein.
»Hier seht ihr ein Stück antiken Schwefel«, erklärte er, während er einen schwarzen Stein in die Höhe hielt. »Ein biblischer Markstein, wenn ich mal so sagen darf. Und das hier ist der Splitter eines versteinerten Minerals aus dem Toten Meer. Hier habe ich einen vorzeitlichen Mangankristall, da einen Silikonquarz und ein Gestein von Pottaschekarbonat. All diese Herrlichkeiten sind Zeugen unserer gewaltigen biblischen Vergangenheit.«
Wir starrten wie gebannt auf die wundersamen Steine und berührten sie mit ehrfürchtigen Fingern. In meinem tiefsten Inneren fühlte ich den stillen Drang, meinen Nachbarn Felix Selig um die Ecke zu bringen und mir seine Schätze anzueignen. Auch in den glühenden Augen der übrigen Nachbarn vermeinte ich das gleiche, neidische Glitzern zu sehen. Seligs Steine waren nicht nur heilig, nein, sie waren überdies auch noch atemberaubend schön . . .
Nicht schwer zu erraten, was sich danach in unserer Straße abgespielt hat. Ganze Menschentrauben pilgerten nach Sodom und schleppten Unmengen geschichtsträchtiger Steine und biblischer Mineralien nach Hause. Sodom war endgültig ›in‹. Der Apotheker von gegenüber wollte sie alle übertreffen und schwor bei seinem Seelenheil von einem riesigen, weißen Brocken, daß er ein Teil von Lots versteinertem Weibe wäre. Er forderte uns auf, den Salzgehalt des Steines zu überprüfen, und erlaubte uns eine kurze Leckprobe. Tatsächlich, wir mußten zugeben, daß der Stein deutlich nach Salzhering schmeckte.
Ich wollte in dem allgemeinen heiligen Eifer natürlich nicht zurückstehen. Um die Achtung meiner Nachbarn nicht zu verlieren, schlich ich in der folgenden Nacht zur nächsten aufgerissenen Straßenkreuzung, füllte dort einen Sack mit Kies voll und dekorierte damit unsere Terrasse.
Die Kieselsteine glitzerten in der aufgehenden Morgensonne wie König Salomons Gallensteine.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren«, eröffnete ich mit bewegter Stimme die Kunstausstellung. »Verneigen Sie sich in tiefster Ehrfurcht. Diese kostbaren Steine sind aus Gomorrha.«
Begeisterte Zustimmung schlug mir entgegen, und ich war überzeugt, daß niemand es schaffen würde, mich zu übertrumpfen.
Es sei denn, Felix holt einen Ziegelstein des Turmes zu Babel von der nächsten Baustelle.
Disziplin
In jenem tapferen, kleinen Land des Nahen Ostens, in dem die folgende Geschichte spielt, stellten die zuständigen Experten eines Tages fest, daß die Wasservorräte langsam, aber sicher zur Neige gingen. Man konnte mit einiger Bestimmtheit voraussagen, daß sie höchstens noch zwei Jahre lang reichen würden. Der für das Wasser zuständige Oberkommissär berief daher eine Pressekonferenz ein und mahnte die Journalisten bei Kaffee und Kuchen:
»Meine Herren, die Wassersituation spitzt sich bedrohlich zu. Das Schicksal des Landes liegt in Ihren Händen.«
Die Presse reagierte großzügig. Fast sämtliche Zeitungen brachten auf der letzten
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