Abschied braucht Zeit
verantwortbaren Lebensgestaltung widerspricht.
Ich bevollmächtige meine Frau Ricki und meine Töchter Anna und Marie im Falle meiner Entscheidungsunfähigkeit, sich für Entscheidungen »in meinem besten Interesse« einzusetzen.
Berlin, im September 2011
12. Zeit haben für den Abschied
Ja, auch ich wünsche mir, genügend Zeit zum Abschied zu haben. Diese muss nicht lang sein – aber lang genug, um für die Tatsache meines Todes im Leben der Bleibenden einen Platz zu finden. Auch wenn ein »schneller Tod« für den, der stirbt, vielleicht ein besserer ist, für die Überlebenden ist der bessere Tod derjenige, wenn im Sterben Zeit zum Abschied gefunden wurde. So wünsche ich mir, dass der Abschied in der Zeit meines Sterbens auch ein Impuls sein kann. Vielleicht gelingt es ja, im Abschied Erinnerung zu finden, die dann für die Zukunft ein kostbarer Schatz wird. Ich habe von Sterbenskranken und Sterbenden in dieser Hinsicht viel gelernt und bewahre diesen Schatz mit großer Sorgfalt. Zeit zum Abschied ist nicht planbar – aber sie zu finden, kann dazu beitragen, im Moment der Unausweichlichkeit nicht hilflos zu sein. Es ist wichtig, die Allgegenwart des Todes zu akzeptieren – auch wenn er uns nicht oder noch nicht unmittelbar betrifft. Die Zeit zum Abschied ist nicht planbar – auch sie ist ein Geschenk.
Sterben begleiten heißt leben lernen. Sterben gehört zum Leben – es findet statt, jeden Tag, jeden Augenblick. Und so bedeutet von Sterbenden zu lernen auch, für das eigene Sterben zu lernen. Aber natürlich ist es auch so, wie Michel de Montaigne schon vor 450 Jahren in seinem Essay Philosophieren heißt sterben lernen feststellte, dass die eigentliche Aufgabe und der Sinn des menschlichen Lebens schon immer das Lernen des Sterbens gewesen sei: »Es ist ungewiß, wo der Tod unser wartet – erwarten wir ihn überall. Das Vorbedenken des Todes ist Vorbedenken der Freiheit. Wer sterben gelernt hat, hat das Dienen verlernt. Sterben zu wissen, entläßt uns aus jedem Joch und allem Zwang. Das Leben hat keine Übel mehr für den, der recht begriffen hat, dass der Verlust des Lebenskein Übel ist ...« 222 Montaigne wünschte sich mitten beim Kohlpflanzen abgerufen zu werden, er starb im Jahre 1592 mit damals gesegneten 59 Jahren ruhig im Kreise seiner Freunde, nachdem er alle Angelegenheiten geordnet hatte. Auch in einer Zeit, in der Sterben und Tod zwar allgegenwärtig sind, das eigene Sterben jedoch so lange es irgendwie geht tabuisiert wird, bleibt die Vorbereitung des Sterbens eine intellektuelle und moralische Herausforderung, der sich alle stellen müssen, denn nichts ist so gewiss, wie die Tatsache, dass wir sterblich sind.
Dank
An allererster Stelle möchte ich mich bei den vielen sterbenskranken und sterbenden Menschen und Angehörigen bedanken, denen ich während meiner Tätigkeit als Arzt in den letzten 40 Jahren in todesnahen Situationen begegnet bin. Sterben begleiten und das Zulassen des Todes ist niemals Routine, sondern immer eine besondere Herausforderung, die auch das eigene Leben prägt und bestimmt. Aus diesen Erfahrungen und der Erinnerung an viele Gespräche mit Betroffenen, Angehörigen, Mitarbeitern der Palliativstation am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe und Freunden ist dieses Buch entstanden. Dem Herausgeber der Reihe medizinHuman , Dr. Bernd Hontschik, und dem Suhrkamp Verlag danke ich für den Impuls, meine Skripte und Gedanken zu sortieren, mich mit speziellen Fragen intensiver zu beschäftigen und dieses Buch zu schreiben, meiner Lektorin, Frau Dr. Katja Bendels, danke ich für die sorgsame und aufmerksame Betreuung, das Geschriebene in eine solche Form zu bringen, dass wir beide zufrieden sind und hoffentlich die Leser dieses Buches auch. Ganz zuletzt möchte ich mich aber bei meiner Familie bedanken, die mich immer wieder angeregt und abgelenkt hat und die mich immer wieder mit Lebenskraft beschenkt, so dass ich meinem Tod eigentlich noch lange nicht ins Auge blicken möchte.
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