Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
Worte aussprach, bekam seine Haut etwas Durchscheinendes, und einen schrecklichen Augenblick lang meinte ich, Würmer unter seiner Haut wimmeln zu sehen. Doch dieser grausige Eindruck verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war, denn nun sprach Opa mit feierlichem Nachdruck in der Stimme:
» Um es in deiner Sprache auszudrücken: Es ist der Wurm des schlechten Gewissens, der an dir nagt! Der an dir nagt, seitdem du begonnen hast zu tun, was du tun musst! Du leidest an der Erbsünde des Bösen, von der man sich nur in einem reinen Akt der Bosheit befreien kann. Und zu dieser reinen, unverstellten Bösartigkeit warst du bislang nicht fähig. Das ist es, was dein Buch auf Schritt und Tritt offenbart. Es ist das schlechte Gewissen, das den Ton angibt, und deswegen – und jetzt setzt du dich besser wieder hin – bist du letztlich zerbrochen!
Ja, mein Junge, zerbrochen! Da kannst du noch so ungläubig gucken! Glaubst du wirklich, dein alter und vor allem toter Opa wäre hier, wenn nicht etwas wirklich Einschneidendes vorgefallen wäre? Ich hab’s ja schon erwähnt, die Kacke ist stärker am Dampfen, als du ahnst. Und zum Herrn sag’ ich auch noch: Bei dem ist Hopfen und Malz noch nicht verloren! Dafür leg’ ich meine Hand ins Feuer! Jung’, ich glaubte wirklich, dass du dich zur Erkenntnis deines wahren Selbst noch durchringst. Schließlich lässt du dich ab einem gewissen Punkt nicht lumpen, so dass die Leute in deinem Buch wie die Fliegen sterben! Dachte, dass dir als Autor irgendwann mal aufgehen müsste, was du schreibst und was zwischen deinen Worten zum Vorschein kommt. Aber was macht der Kerl?! Lässt sich von seinen eigenen Schatten so dermaßen ins Bockshorn jagen, dass er auf dem Boden einer Telefonzelle krepiert! Stirbt vor Schreck, weil ihm die Telefonnummer einer Frau entfallen ist, einer Frau, der er selbst den Hals umgedreht hat!
Da staunst du, was?!« meinte mein Opa mit dem leisen Vergnügen des Aufklärers in den Augenwinkeln, mir währenddessen beruhigend den Kopf tätschelnd, »Die Unscheinbare tot! Du tot! Deswegen also war diese Frau unerreichbar für dich! Aber tröste dich, wenn von nun an alles nach Plan läuft, ist das halb so wild. Der Herr hat ein Auge auf dich geworfen! Du brauchst nur die rechte Entscheidung zu treffen. Also hör’ gut zu! Hör’ zu und wähle gut!
Ich will, dass du dich an dein Lächeln erinnerst, alsHasso gehorchte und über Deine Schwester herfiel. Sehr umsichtig, so nebenbei bemerkt, all die Türen offen zu lassen. Erinner’ dich an Bauer Brandt, der alte Sack schuldet mir übrigens immer noch Geld, also denk’ dran, was du getan hast, als Brandt dir von den Vögeln erzählte, die haufenweise auf seinen Feldern verendet sind. Du hattest von der Botulismusepidemie unter den Vögeln am Niederrhein in der Zeitung gelesen, und so hast du dir in einem unbeobachteten Moment – übrigens im Gegensatz zu damals, als du die Handgranate stibitzt hast, wirklich unbeobachtet – einen Vogel genommen und ihn zusammen mit einem Stück Sauerbraten ganz unten in der Gefriertruhe eingefroren. Der springende Punkt daran ist der: In beiden Fällen, wie auch bei all deinen Taten bis hin zu Diana, hast du gewusst, was du tust. Den toten Vogel hast du beim Aufräumen der Kühltruhe ja auch wieder entfernt. Hast auf den rechten Moment gewartet und zugeschlagen. Und was ebenso wichtig ist: Auch danach hast du gewusst, was du getan hast! Da konntest du dich noch so sehr anstrengen, es zu vergessen. Wieder und wieder sahst du die kleinen Händchen deiner Schwester vor dir, die sie dir, ihrem geliebten großen Bruder mit einem zärtlichen Blick aus großen Kinderaugen entgegenstreckte, während Hasso neben dir auf dein gebieterisches Wort wartete. Dein schlechtes Gewissen sorgte die ganze Zeit über dafür, dass du nichts und niemanden wirklich los wurdest!
Doch bei Carmen wurden Deine jahrelangen Bemühungen, dein wahres Wesen unter den Teppich zu kehren, – ha! – endlich belohnt! Dein Gedächtnis tat dir endlich den Gefallen! Und so wurde diese Frau zu etwas Besonderem in deinem Leben. Der erste Mensch, dessen Leben du geopfert hast, ohne dass du dich überhaupt daran erinnern kannst. Hast den Genuss vergessen, ihr durch die Nacht zu folgen, hast vergessen, was für eine Befriedigung es war, sie zu überwältigen und sie hilflos vor dir auf dem Waldboden liegen zu sehen... Interessant übrigens, dass es dir unsportlichem Hänfling gelungen ist, dieses durchtrainierte
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