Abschied nehmen
der Rest der Familie. Doch trotz der Tatsache, dass er ihm dafür überaus dankbar war, verspürte William bei dem Anblick einen Stich. Er würde nie ein solch vertrautes Verhältnis zu seiner Schwester haben und das stimmte ihn traurig. Und nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob seine Entscheidung richtig gewesen war und ob er nicht zu viel aufgegeben hatte.
Jamie bemerkte den wehmütigen Blick seines Freundes, der auf ihm ruhte, und löste sich mit einem bedauernden Lächeln aus Amys Umarmung. William schüttelte kaum merklich den Kopf und winkte soeben mit einem Lächeln ab, als Edward den Empfangssalon betrat und zu Tisch bat.
Amy ergriff sogleich Jamies Hand und riss ihn hinter sich her, George folgte den beiden gemächlicheren Schrittes. William indes blieb noch einen Augenblick vor dem Feuer stehen und sah den tanzenden Flammen zu. Dann kippte er seinen Whisky mit einem Mal hinunter, stellte das Glas auf den Tisch neben die anderen und folgte seiner Familie nach nebenan.
Bevor er eintrat, verbot er sich die trübsinnigen Gedanken und setzte ein strahlendes Lächeln auf, das noch breiter wurde, als Amy ihn lauthals aufforderte, neben ihr Platz zu nehmen. Er vermutete, dass diese Bitte Jamies Idee war, doch das tat seiner Freude darüber keinen Abbruch.
So nahm er neben seiner Schwester Platz und beim Anblick des reich gedeckten Tisches und dem wunderbaren Duft der vielen Speisen lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Seine letzte Mahlzeit lag bereits über zwölf Stunden zurück und hatte nur aus etwas Brot und Milch bestanden. Die Bauernfamilie, in deren Stall er ein paar wenige Stunden geschlafen hatte, hatte sie ihm überlassen und er kam zu dem Schluss, dass er es keine Minute länger ausgehalten hätte. Nun wusste er gar nicht, wo er anfangen sollte, alles sah so köstlich aus und so wie er die Kochkünste der Köchin kannte, würde es auch so schmecken und so begann er, seinen Teller zu beladen. Er nahm von allem reichlich und ohne es zu merken, häufte er einen richtigen Essensberg auf seinem Teller an, den er unter amüsierten Blicken seiner Familie in sich hineinschaufelte.
„Schon lange nicht mehr so gut gegessen, was mein Sohn?“, bemerkte George belustigt und nachdem William einen Blick auf seinen Teller geworfen hatte, brachen sie in Gelächter aus. Anschließend zwang William sich, nicht mehr so zu schlingen, immerhin wollte er das Essen auch bei sich behalten.
„Wie lange dürfen wir uns eigentlich an deiner Anwesenheit erfreuen?“, fragte Jamie schließlich, während er die Schüssel mit den gedünsteten Mohrrüben an George weiterreichte. „Bleibst du wie letztes Mal für ein Jahr oder musst du schon früher wieder zurück?“
„Ich gehe nicht mehr zurück zur Armee. Mein Dienst ist beendet“, antwortete William so beiläufig wie möglich und seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, denn Jamie starrte seinen Freund mit offenem Mund an.
„Ist das dein ernst?“, stieß er schließlich ungläubig hervor und wandte sich ohne eine Antwort abzuwarten an Williams Vater: „Ist das sein ernst, George?“
Lächelnd nickten Vater und Sohn zur Bestätigung.
„Das wird ja immer besser und besser!“, rief er, die Arme in die Höhe werfend. „Endlich können wir wieder zusammen jagen gehen und ins Theater und zu den Festen. Da mache ich dich mit ein paar bildschönen Frauen bekannt und ...“ Jamie sprach fast ohne Luft zu holen und seine blauen Augen strahlten vor Freude.
„Immer mit der Ruhe, mein Freund“, unterbrach William ihn mit einem amüsierten Grinsen. „Das soll doch nicht schon alles heute Abend geschehen, oder?“
„Nein, nein, es ist nur“, Jamie legte ihm die Hand auf die Schulter, „ich bin lediglich so froh, dass du endlich wieder zu Hause bist“, sagte er und das Glitzern in den Augen seines Freundes rührte William derart, dass er einen tiefen Schluck Wein nehmen musste, um den dicken Kloß in seiner Kehle hinunterzuspülen. Dann legte er seine Hand auf Jamies, die noch immer auf seiner Schulter ruhte.
„Ich bin auch froh, wieder hier zu sein bei meinem Vater, meiner Schwester und meinem Bruder.“ Jamie und er hatten einander stets als Brüder betrachtet, dass sie nicht dasselbe Blut verband, war dabei nicht von Bedeutung. „Ich möchte die Zeit mit euch genießen, denn nur Gott weiß, wie viel uns davon noch bleibt.“
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