Abschlussfahrt
Letzten reißen sich von den Küssen ihrer Mütter und guten Ratschlägen ihrer Väter los und folgen uns.
Wir betreten einen dieser Großraumwagen, er ist fast leer, und die meisten Leute verteilen sich sofort auf die freien Plätze. Aber Marlon läuft weiter, Lars und ich hinterher. Wir betreten den nächsten Wagen, auf der rechten Seite befinden sich einzelne Abteile, Marlon schiebt eine der Türen auf, das Abteil ist leer.
»Genau das, was wir brauchen«, beschließt er und geht hinein.
Lars und ich folgen ihm.
Marlon stellt seine Sporttasche auf den Boden und fläzt sich auf den linken Fensterplatz. »Das ist perfekt. Hier stört uns keine Sau.«
»Das ist Nichtraucher«, brummt Lars und zeigt auf ein fettes Nichtraucherschild.
»Jetzt nicht mehr«, erwidert Marlon und zündet sich eine an.
Ich wuchte meine Tasche oben in die Gepäckablage und lasse mich schräg gegenüber von Marlon auf den mittleren Sitz fallen. Lars pflanzt sich links neben mich.
»Na endlich, da seid ihr ja!« Seba steckt seinen Kopf ins Abteil. »Bin den halben Zug abgelatscht. Hättet ja ruhig mal auf mich warten können.«
Er stellt einen Rucksack und eine Kühltasche vor unsere Füße, aus der Kühltasche ertönt ein uns wohlbekanntes Klimpern.
»Vier Wodka, zwei Havana, zwei Asbach, plus jede Menge Brause zum Mixen«, zählt Seba auf. »Das sollte für die Fahrt reichen. Womit wollt ihr anfangen?«
»Warte«, sagt Marlon. »Erst wenn Wuttke durch ist.«
Seba nickt und schiebt die Kühltasche zu Marlon hinüber. Dann setzt er sich Lars gegenüber an die Tür. Marlon zieht die Kühltasche bis an die Außenwand und legt zur Tarnung seine Jacke darüber.
»Ist hier noch was frei?«
Oh, nein. Betzel, dieser Schleimer. Was will der denn hier?
»Klar«, antwortet Marlon. »Aber wenn du hier sitzt, wer kriecht dann Wuttke in den Arsch? Verpiss dich, Betzel.«
Klare Ansage, schneller Abgang. Sehr gut. Mit diesem Denunzianten im Abteil hätte ich es nicht lange ausgehalten. Diese Dreistigkeit, sich überhaupt zu uns setzen zu wollen, sagt eigentlich schon alles. Der wollte doch nur wieder Material sammeln, um uns bei Wuttke anzuschwärzen, sonst nichts. Ich habe ja schon einige Petzen in meiner Schullaufbahn erlebt, aber dieser Typ ist echt das Letzte. Der rennt schon zu Wuttke, wenn sich mal einer während des Unterrichts kurz am Sack kratzt. Echt jetzt. Das hat er tatsächlich gebracht.
»Herr Wuttke!«, hat er gerufen. »Lars spielt mit seinen Fingern im Schritt herum!«
Und Wuttke hat das auch noch ins Klassenbuch eingetragen. Lars Fischer verhält sich seinen Mitschülern gegenüber im Genitalbereich sexuell unsensibel. Zugegeben, wir haben uns natürlich halb totgelacht. Trotzdem, Betzel ist ein verdammter Schleimer und Denunziant und ein Arschloch, und mit solchen Leuten will ich so wenig wie möglich zu tun haben.
»Hey, Diego!«, ruft Marlon laut in Richtung Gang. »Hier steigt die Fiesta!«
Diego schiebt sich mitsamt Gettoblaster in unser Abteil.
»Compadres! Genau euch habe ich gesucht!«
Diego, unser Spanier und Musikbeauftragter. Man sieht ihn nur selten ohne Knöpfe im Ohr, ein Musikverrückter, DJ auf jeder Party, kennt die Charts der letzten Jahre in- und auswendig. Es war sonnenklar, dass er während der Fahrt für die Mucke sorgt und somit liebend gerne immer einen Platz an unserer Seite hat. Wobei das nicht nur an der Musik liegt, er ist auch sonst absolut in Ordnung, total entspannt und für jeden Spaß zu haben.
Diego stellt den Gettoblaster auf den freien Platz mir gegenüber, hievt seine Tasche in die Gepäckablage und setzt sich rechts neben mich. Er lupft kurz Marlons Jacke über der Kühltasche und grinst. »Ich sehe, für Verpflegung ist gesorgt.«
Marlon zwinkert ihm zu. »Für die Fahrt sollte es reichen.«
»Es geht los«, sagt Lars, und der Zug setzt sich ruckelnd in Bewegung.
Seba streckt seinen Kopf aus dem Abteil. »Kein Wuttke in Sicht.«
»Der kommt schon noch«, sagt Marlon. »Kein Ausflug ohne Predigt. Ich sage nur: Rothenburg.«
Lars nickt wissend.
»Unvergesslich«, grinst Seba.
»Legendär«, stimmt Diego zu.
Ja, verdammt. Der legendärste Tagesausflug aller Zeiten. Das war letztes Jahr. Und ich war nicht dabei. Sommergrippe, vierzig Fieber, ich hätte kotzen können. Nach dieser Fahrt ist Kauffmann aus unserer Klasse geflogen. Weil er es in einer dunklen Ecke im Foltermuseum von Rothenburg mit Kim getrieben hatte. Ohne Scheiß. Zumindest haben das alle erzählt, dann muss
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