Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall
dass sie Patrick schon einmal mit der
Reporterin gesehen hatte. Auch damals hatten sie gestritten. Seda verschränkte
nervös die Finger. Warum hatte sie Kadir vorhin nichts davon erzählt?
Instinktiv hatte sie geschwiegen, vielleicht nur, weil Kadir nicht wie üblich
die Gedankengänge und Handlungen des komiser ablehnte, und sie Patrick
keine neuen Fallstricke auslegen wollte?
Es
war an dem Abend des Gästedinners gewesen, das Essen war noch in vollem Gang,
als Patrick aus dem Ozman kam. Er sah so aus, als brauchte er dringend Luft,
aber er fand noch die Zeit, zu Seda an den Tresen zu kommen und ein paar
freundliche Worte mit ihr zu wechseln. Dann wollte er am Wasserfall vorbei auf
die Terrasse, und plötzlich war die Reporterin wie ein Springteufelchen aus der
Sitzgruppe hinter dem Wasserfall hervorgeprescht und hatte ihm den Weg
versperrt. Hatte sie ihn da schon auf die Dinge angesprochen, die sie zu
veröffentlichen beabsichtigte?
Seda
zuckte zusammen, als ihre Kollegin Sandra die Tür zu dem Nebengelass, in dem
sie Ordner sortiert hatte, geräuschvoll zuschnappen ließ.
»Fertig!«,
verkündete Sandra und setzte sich neben Seda. »Ziemlich ruhiger Mittag,
stimmt’s? Gleich müssten die ersten zum Mittagsbuffet eintrudeln.«
Patrick
war nicht laut geworden, erinnerte sich Seda, aber seine Haltung drückte
Erschrecken und Ablehnung aus. Eindringlich sprach er auf die Reporterin ein,
doch die warf nur ihr Haar zurück und schüttelte den Kopf.
»Da
kommen sie schon, wie Raubtiere zur Fütterung, jeden Mittag zur gleichen Stunde«,
kicherte Sandra, und Seda sah nach der Terrassentür, die von einer Gruppe
schwatzender Mütter, um deren Beine unendlich viele Kinder zu wuseln schienen,
weiter aufgeschoben wurde.
Hatte
die Ratzki ihm damals das erste Mal erzählt, was sie von Hakan wusste?
Erschrocken presste Seda eine Hand vor den Mund. Und war Patrick danach
losgestiefelt und hatte Hakans Dusche präpariert? Nein, dachte Seda, nein und
nochmals nein. Sie war sicher, dass Patrick Schleinitz nichts mit den Morden zu
tun hatte. Etwas fehlte in ihrer Erinnerung an jenen Abend, etwas, das mit
Macht an die Oberfläche dringen wollte, aber es aus irgendwelchen Gründen nicht
schaffte. Seda schloss die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Sie haben
gestritten, leise und heftig, überlegte sie, und dann hat er sie einfach stehen
lassen und ist in den dunklen Garten hinausgegangen. Ohne sich noch einmal
umzudrehen. Und sie ist grußlos an mir vorbeigerauscht und zur Vordertür
hinaus.
»Pennst
du?«, fragte Sandra. »Sieh mal, eines der kleinen Raubtierkinder versucht
gerade sich in den Wasserfall stürzen!«
Seda
öffnete die Augen und sah ein kleines Mädchen, das breitbeinig auf dem Bassinrand
stand und mit den Fingern versuchte den Wasserfall zu berühren. Sie quietschte
entzückt und wischte sich dann, als ihre Mutter einige energische Worte rief,
die Hand an ihrem mit glitzernden Sternchen übersäten Badeanzug ab.
Seda
sprang elektrisiert auf.
Das
paillettenbesetzte Abendkleid von Madlen Erdmann!
»Sandra,
kannst du mir Deckung geben? Kannst du mich für den Rest des Tages krank
melden? Frag nicht und schau nicht so erschrocken, es geht nur um Leben und
Tod!«
»Oh
je, wenn du das sagst, muss es stimmen.«, erwiderte Sandra und blickte
neugierig in das gerötete Gesicht ihrer Kollegin. »Hau schon ab, ich halte die
Stellung, aber ich will die Erste sein, die Neuigkeiten erfährt, hörst du? Gehst
du wieder einen Mörder fangen, so wie im Sommer? Den Mörder von Hakan Hunsfos?
Aufregend!«
Ohne auf Sandras Fragen
einzugehen, knöpfte Seda hastig ihre Uniformweste auf und warf sie über den
Stuhl. Dann schlüpfte sie um den Empfangstresen und rannte durch die Halle an der
Müttertruppe vorbei, die ihr erstaunt hinterherblickten, in Richtung Pool, wo
sie zu ihrer großen Erleichterung feststellte, dass Herbert Schmalfuß, ein
sonnenabweisendes, an den Rändern geknotetes Taschentuch auf dem Kopf, nach wie
vor über seiner Seekarte brütend, kerzengerade auf dem Liegestuhl saß.
»Mir
ist ein bisschen plümerant, Fräulein Seda, denn das, was wir hier unternehmen,
ist eindeutig Hausfriedensbruch.«
Herbert
Schmalfuß sah sich unsicher in dem Gang um, der ihn an eine Bildergalerie in
einem österreichischen Lustschloss erinnerte, das er vor langen Jahren, in dem
Drang sich nach seiner Pensionierung mit grundlegender Bildung zu versehen, mit
einer Kulturreisegruppe besucht hatte. Während der Reise
Weitere Kostenlose Bücher