Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall
der
Sitzecke dahinter. Irgendwann kam Saskia Haverkorn wieder, Seda erinnerte sich,
dass sie unschlüssig und entschuldigend in Richtung Empfang lächelte und dann
zögerlich, als hätte sie kein Recht dazu, die Tür zum Ozman öffnete. Ein
irrgeleiteter Koffer kam im nächsten Moment mit dem Boten der Fluggsellschaft
an, und als Seda sich eben von ihm verabschiedete, hörte sie die klackernden
Absätze von Madlen Erdmann, die strammen Schrittes, als hätte sie Wanderschuhe
und keine hochhakigen Riemchensandaletten an, zum Restaurant strebte. Sie sah
sich noch einmal nach dem Wasserfall um, warf ihre schimmernde Mähne nach
hinten und verschwand.
»Und
dann erst, bestimmt eine Viertelstunde später, erschien Patrick, plauschte mit
mir und ging anschließend zur Terrasse. Und in dem Moment kam die Reporterin
hinter dem Wasserfall hervor. Sie war also die ganze Zeit dort gewesen, sie muss diejenige gewesen sein, die mit Madlen Erdmann gesprochen hatte. Und wenn
die Ratzki ihrem üblichen Muster folgte, dann hat sie ihr irgendwas an den Kopf
geworfen, was Hakan ihr erzählt hat.«
»Mmmh«,
machte Schmalfuß und schob Bügel um Bügel zur Seite. »Was hat diese Frau viele
Kleidungsstücke! Und so extravagant!«
»Sie
ist ja auch nicht privat hier, vielleicht sind das ein paar Stücke vom Set.«
»Wieso,
Fräulein Seda, haben Sie mir davon erzählt, dass Herr Schleinitz schon
einmal mit Fräulein Ratzki in Differenz stand? Warum haben Sie es nicht Herrn
Bülbül erzählt?«
»Ich
wollte den armen Paddyboy nicht noch mehr reinreissen! Und Kadir scheint zu
glauben, dass an dem Gewäsch von Dalga etwas dran ist.«
Seda
nahm sich die nächste Schublade vor.
»Es
ist ja auch nicht von der Hand zu weisen, dass…« Schmalfuß stockte.
»Haben
Sie was?«
Seda
sprang auf, doch Schmalfuß wehrte ab.
»Nein,
bitte, liebes Fräulein Seda, bitte, bleiben Sie, wo Sie sind, das dürfen Sie
nicht sehen, das ist… degoutant, abscheulich, wie zu meinen schlimmsten Zeiten
im Rotlichtmilieu…«
Seda
drängelte sich an Schmalfuß vorbei und blickte aufgeregt in den Schrank, bereit
die nächste Leiche zu finden.
»Schmalfüßchen!
Ein Domina-Kostüm! Puuhhh! Machen Sie das nicht noch mal mit mir!«
»Aber
wieso?«, murmelte Schmalfuß. »Es ist degoutant, zutiefst, und eine junge Frau
wie Sie sollte so etwas...«
»Nicht
mal Latife Bülbül würden Sie damit erschrecken«, lachte Seda. »Und wo wir
gerade von ihr sprechen: Sie hat mich zum Goldtag eingeladen, das ist eine
große Ehre. Scheint, als würde ich immer mehr den Platz einer Ersatztochter
einnehmen.«
»Zum
Goldtag? Was darf ich mir darunter vorstellen?«
Seda
war zum Badezimmer gewandert und rief durch die geöffnete Tür.
»Das
ist eine alte türkische Tradition unter Frauen. Eine Gruppe von Freundinnen
oder Nachbarinnen lädt sich reihum nachmittags zum Tee oder zum Imbiss ein, und
jede der Geladenen bringt der Gastgeberin ein Stück Gold mit. Deshalb Goldtag.
Heute ist es aber üblicher, Geld mitzubringen. So kommen die Frauen an ein
bisschen extra Haushaltsgeld. Aber auch berufstätige Frauen, die es nicht nötig
haben, machen da mit, es ist eben eine alte Tradition.«
»Oh,
so etwas kenne ich!«, bemerkte Schmalfuß und nickte. Dann zog er sich einen
Stuhl heran, streifte seine Schuhe ab und stieg auf den Sitz, um an die oberen
Schränke, in denen in Hotels üblicherweise Ersatzdecken und Kopfkissen gelagert
waren, zu gelangen. Er dachte an Mutter Schmalfuß, die sich all die Jahre an
jedem zweiten Sonntag im Monat mit ihren Freundinnen getroffen hatte und immer
ein Mitbringsel dabeigehabt hatte. Nach dem Krieg waren es Milchpulver oder
selbstgezogene Tabakblätter gewesen, später Ananas in Dosen und noch später mal
ein Gutschein für eine Kaffeefahrt auf der Elbe oder für einen Ausflug zur
Apfelblüte im Alten Land. Die Art und Weise von Frauen, dachte Schmalfuß, die
in einer Gesellschaft oder in einer Zeit leben, in der es nicht üblich ist, dass
sie über eigene Mittel verfügen. Nicht so wie Madlen Erdmann, fügte er still
für sich hinzu, eine Frau, die alles besaß, was sie sich nur wünschen konnte.
Schmalfuß
öffnete die Schranktür und stellte sich auf Zehenspitzen. Der Stuhl schwankte,
und er klammerte sich verschreckt an den Schrankgriff.
»Die
Frau hat Cremes und Tuben im Gegenwert eines Monatsgehalts. Madlens
Monatsgehalt, wohlgemerkt, soweit ich das einschätzen kann. Mit meinem Salär
käme sie wohl in der Körperpflege nur bis zum
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