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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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beleuchtete Fenster zu sehen, und ein einsamer Plastikpuck vom Hockeyspiel rollte gegen die Radkappe eines Autos. Alle waren beim Essen. Selbst in der Kneipe war es still. Phil schlug mit der rechten Hand nach dem Ball, so dass er ein wenig weiter flog, als ich erwartet hatte; ich musste springen und mich etwas drehen, um ihn zu erwischen. Ich fing ihn mit seitlich abgedrehtem Oberkörper, und da sah
ich aus dem Beifahrerfenster eines Autos ein weißes Gesicht mit blauem Haar und großen, roten Lippen zu mir herunterblicken. „Gut gefangen!“ lobte der Clown.
Bei uns gab es nur eine Antwort, die Kinder einem Clown gaben. „Leck mich!“ entgegnete ich.
„Schöner Spruch“, sagte der Clown auf dem Beifahrersitz, aber mir gefiel sein Lächeln dabei nicht. Seine Hand ruhte draußen auf der Tür.
„Sehr schön“, bestätigte nun auch der Fahrer. „Wirklich sehr schön. Weiß deine Mutter, dass du solche Sachen sagst?“
Ich war keinen halben Meter von der Tür entfernt und stand da wie auf dem Bürgersteig festgefroren. Und konnte den Blick nicht vom leuchtend roten Mund des Clowns abwenden.
Phil stand gute drei Meter weit hinter mir, er schien ebenfalls wie festgefroren zu sein.
„Können wir euch ein Stück mitnehmen, Jungs?“ fragte der Clown auf dem Beifahrersitz.
Ich schüttelte den Kopf, mein Mund war trocken.
„Jetzt ist er gar nicht mehr vorlaut, der Kleine.“
„Nein.“ Der Fahrer reckte den Hals, um mich hinter seinem Kollegen sehen zu können, so dass ich sein hellrotes Haar und die gelbe Bemalung um seine Augen bemerkte. „Sieht aus, als wäre euch kalt.“
„Du hast ja eine Gänsehaut“, bemerkte der Beifahrer.
Ich machte zwei Schritte nach rechts, meine Füße fühlten sich an, als versänken sie in tiefem Schlamm.
Der Clown auf dem Beifahrersitz warf einen kurzen Blick die Strasse hinunter und wandte sich dann wieder mir zu.
Der Fahrer sah in den Rückspiegel und nahm die Hand vom Lenkrad.
„Patrick?“ sagte Phil. „Komm!“
„Patrick“, wiederholte der Beifahrer langsam, als koste er jeden Buchstaben aus. „Was für ein schöner Name! Und wie heißt du weiter, Patrick?“
Selbst heute weiß ich nicht, warum ich antwortete. Wahnsinnige Angst vielleicht oder der Versuch, Zeit zu schinden, aber selbst in dem Fall hätte ich wissen müssen, dass ich einen falschen Namen hätte angeben sollen. Ich tat es aber nicht. Ich schätze, ich hoffte voller Verzweiflung, dass sie mich als Mensch wahrnehmen würden, nicht als Opfer, wenn sie meinen vollständigen Namen kannten, und mich vielleicht verschonten.
„Kenzie“, antwortete ich. Und der Clown lächelte mir verführerisch zu. Dann hörte ich, dass das Türschloss entriegelt wurde, ein Geräusch wie das Laden einer Schrotflinte.
Da warf ich den Baseball.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich es geplant hatte. Ich machte einfach zwei Schritte nach rechts – schwere, langsame Schritte, als befände ich mich in Trance –, und anfangs zielte ich wohl auf den Clown selbst, der gerade die Tür öffnen wollte.
Statt dessen segelte mir der Ball aus der Hand, jemand rief „Scheiße!“, und es gab ein lautes, klatschendes Geräusch, als der Ball mitten auf der Windschutzscheibe auftraf und viele kleine Sprünge ins Glas riss.
Phil schrie: „Hilfe! Hilfe!“
Die Beifahrertür wurde aufgestoßen, im Gesicht des Clowns stand grenzenlose Wut.
Ich sprang stolpernd los und stürzte mehr mit Hilfe der Schwerkraft als aus eigener Kraft die Savin Hill Avenue herunter.
„Hilfe!“ schrie Phil wieder, dann rannte er los, und ich war direkt hinter ihm, wirbelte noch immer mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten, weil ich dem Asphalt immer wieder bedrohlich nahe kam.
An der Ecke Sydney Street kam ein bulliger Mann mit einem Schnurrbart, so dick wie ein Malerpinsel, aus der Bulldog’s Bar, hinter uns hörten wir Reifen quietschen. Der bullige Mann sah sauer aus; in der Hand hielt er einen abgesägten Baseballschläger, und zuerst dachte ich, er ginge damit auf uns los.
Ich weiß noch, dass seine Schürze voll von rötlichen und braunen Fleischflecken war.
„Was ist hier los, verdammt noch mal?“ sagte er und guckte angestrengt auf etwas, das hinter mir war. Ich wusste, der Lieferwagen ging jetzt auf uns alle los. Er würde auf den Bürgersteig rasen und uns niedermähen.
Ich drehte mich um, um meinem eigenen Tod ins Auge zu blicken, doch statt dessen sah ich schmutzige, orangefarbige Rücklichter aufleuchten, als der Lieferwagen um die Ecke

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