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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Streuner auf – Bubba, eine Zeitlang Kevin Hurlihy, Nelson Ferrare, Angie. Die kleinen Strolche, Rebellen mit diebischen Herzen und ohne jeden Respekt vor Autoritäten.
Wie er mir so gegenübersaß am Tisch seiner Exfrau, konnte ich den alten Phil erkennen, den einzigen Bruder, den ich je hatte. Er grinste, als fiele ihm selbst alles wieder ein, und ich hörte das Lachen unserer Kindheit, als wir die Strassen unsicher machten, wie Wölfe über die Dächer liefen und unseren Eltern zu entkommen versuchten. Mann, für Kinder, die verstört hätten sein müssen, haben wir viel gelacht.
Draußen prasselte der Hagel, als würden tausend Stöcke auf das Dach einschlagen.
„Was ist mit dir passiert, Phil?“
Sein Grinsen verschwand. „Hey, du…“
Ich hob die Hand. „Nein. Ich will dich nicht verurteilen. Ich möchte es nur wissen. Du hast es selbst zu Bolton gesagt: Wir waren wie Brüder. Wir waren Brüder, verdammt noch mal! Und dann hast du dich plötzlich gegen mich gewandt. Ab wann hast du mich gehasst, Phil?“
Er zuckte mit den Schultern. „Ein paar Sachen habe ich dir nie verziehen, Pat.“
„Zum Beispiel?“
„Na ja… du und Angie, du weißt schon…“
„Dass wir zusammen geschlafen haben?“
„Dass du ihr die Unschuld genommen hast. Ihr wart meine besten Freunde, und wir waren alle so streng katholisch und verklemmt und sexuell hinterm Mond. Und dann habt ihr beiden euch in dem einen Sommer von mir ferngehalten.“
„Nein.“
„O ja.“ Er kicherte in sich hinein. O ja. Habt mich mit Bubba, Frankie Shakes und ein paar anderen Idioten mit nichts als Scheiße im Hirn allein gelassen. Und dann, wann war es, im August?“
Ich wusste, was >es< war. Ich nickte. „Vierter August.“
„Unten am Carson Beach, habt ihr zwei, na ja, habt ihr’s getan. Und danach hast du sie wie Scheiße behandelt, du warst ja so cool. Da kam sie zu mir gelaufen. Und ich war zweite Wahl. Wie immer.“ „Wie immer?“
„Wie immer.“ Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und breitete die Arme aus. „Hey“, meinte er, „ich war immer charmant und sah gut aus, aber du hattest Instinkt.“
„Willst du mich verarschen?“
„Nein“, erwiderte er. „Mensch, komm, Pat! Ich habe über alles immer zu lange nachgedacht, du hast es einfach gemacht. Du warst der erste von uns, der gemerkt hat, dass Angie anders war als wir, du hast als erster aufgehört, auf der Strasse rumzuhängen, du hast als erster…“
„Ich hatte keine Ruhe. Ich war…“
„Dich hat dein Instinkt getrieben“, ergänzte er. „Du hast immer vor uns anderen die Lage erkannt und dich entsprechend verhalten.“ „Blödsinn!“
„Blödsinn?“ Er kicherte. Los, komm, Pat! Das ist deine Begabung. Weißt du noch diese gruseligen Scheißclowns in SavinHill?“ Ich lächelte und musste mich gleichzeitig schütteln. „O ja.“ Er nickte, und ich merkte, dass er noch zwanzig Jahre später die Angst verspürte, die uns damals wochenlang nach unserem Zusammentreffen mit den Clowns gepackt hielt.
„Wenn du nicht den Baseball durch die Windschutzscheibe geworfen hättest“, fuhr er fort, „wer weiß, ob wir heute überhaupt hier wären.“
„Phil“, beruhigte ich ihn, „wir waren Kinder mit einer blühenden Phantasie und…“
Energisch schüttelte er den Kopf. „Ja, sicher. Wir waren Kinder, und wir hatten Angst, weil Cal Morrison in der Woche umgebracht worden war und weil wir die ganze Zeit Gerüchte über diese Clowns gehört hatten und so weiter. Das stimmt zwar, aber wir waren da, Patrick. Du und ich. Und du weißt, was mit uns passiert wäre, wenn wir zu ihnen in den Lieferwagen gestiegen wären. Ich weiß immer noch, wie der aussah. Scheiße! Der Staub und die Schmiere auf den Kotflügeln, der Geruch aus dem offenen Fenster…“ Der weiße Lieferwagen mit der kaputten Windschutzscheibe aus der Hardiman-Akte.
„Phil“, rief ich. „Phil. Du meine Güte!“
„Was?“
„Die Clowns“, sagte ich. „Du hast es gerade selbst gesagt. Das war die Woche, als Cal umgebracht wurde. Und dann, o Scheiße, habe ich den Baseball in die Windschutzscheibe geworfen…“ „Und wie!“
„Und hab’s dann meinem Vater erzählt.“ Ich legte die Hand vor den Mund, hielt ihn zu, weil er vor Schreck weit offenstand.
„Wart mal kurz!“ hielt er inne. Ich merkte, dass dieselbe Erkenntnis, die wie Feuerameisen meine Wirbelsäule hinunterlief, nun auch Phil erfasst hatte. Seine Augen leuchteten auf.
„Ich habe den Lieferwagen markiert“, erklärte ich. „Ich habe

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