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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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ihn markiert, Phil, verdammt noch mal, und ich hab’s noch nicht mal gemerkt. Und der EES hat ihn gefunden.“
Er starrte mich an, und ich sah, dass er es auch wusste. „Patrick, willst du damit sagen…“
„Alec Hardiman und Charles Rugglestone waren die Clowns.“

31
    In den Tagen und Wochen, nachdem Cal Morrison getötet wurde, hatte man als Kind in meiner Gegend Angst.
Man hatte Angst vor Schwarzen, weil Cal angeblich von einem ermordet worden war. Man hatte Angst vor heruntergekommenen, grauhaarigen Männern, die einen in der U-Bahn zu lange anstarrten. Man hatte Angst vor Autos, die zu lange an der Kreuzung stehenblieben, wenn die Ampel schon längst auf Grün gesprungen war, oder vor Autos, die mit verminderter Geschwindigkeit auf einen zufuhren. Man hatte Angst vor Obdachlosen und den dumpfen Gassen und dunklen Parks, in denen sie übernachteten.
Man hatte vor so gut wie allem Angst.
Aber vor nichts hatten die Kinder in meiner Umgebung so viel Angst wie vor Clowns.
Nachträglich wirkte das absolut lächerlich. Killerclowns gab es nur in billigen Groschenheften und schlechten Kinofilmen. Sie gehörten ins Reich der Vampire, gehörten zu den durch Tokio stapfenden Urzeitmonstern. Diese Phantasiegespinste wurden erfunden, um die einzige Zielgruppe zu verängstigen, die naiv genug war, sich vor ihnen zu fürchten: Kinder.
Als ich älter wurde, hatte ich keine Angst mehr vor dem Wandschrank in meinem Zimmer, wenn ich mitten in der
Nacht aufwachte. Auch schreckten mich die knarzenden Geräusche des alten Hauses nicht mehr; es waren einfach nur knarzende Geräusche – das traurige Klagen alternden Holzes und die erleichternden Seufzer der müde werdenden Fundamente. Bald hatte ich vor fast gar nichts mehr Angst, außer vor einem in meine Richtung weisenden Pistolenlauf und der plötzlichen Gewaltbereitschaft in den Augen von Betrunkenen oder Männern, denen klargeworden war, dass sie ihr Leben unbemerkt vom Rest der Welt gelebt hatten. Doch als Kind verkörperten Clowns alles, wovor ich Angst hatte. Ich weiß nicht mehr, wie die Gerüchte begannen – vielleicht am Lagerfeuer beim Sommercamp, vielleicht nachdem einer aus unserer Gruppe einen dieser schlechten Filme im Autokino gesehen hatte –, aber als ich ungefähr sechs Jahre alt war, wusste schon jedes Kind von den Clowns, obwohl es niemanden gab, der sie tatsächlich gesehen hatte.
Doch die Gerüchte breiteten sich aus.
Angeblich fuhren sie einen Lieferwagen und hatten Tüten mit Süßigkeiten und bunten Luftballons bei sich, aus ihren riesigen Ärmeln explodierten Blumensträuße.
Hinten im Lieferwagen sollten sie eine Maschine haben, die Kinder in weniger als einer Sekunde erledigte, und wenn man einmal ohnmächtig war, wachte man nie wieder auf.
Während du ohnmächtig warst, bearbeiteten sie abwechselnd deinen Körper.
Dann schnitten sie dir die Kehle durch.
Und weil sie Clowns waren und große, rot angemalte Münder hatten, lachten sie die ganze Zeit.
Phil und ich waren ungefähr in dem Alter, in dem man keine Angst mehr vor solchen Märchen hat, in dem man
wusste, dass es kein Christkind gibt und man wohl doch nicht der verlorene Sohn eines mildtätigen Millionärs wai; der einem eines Tages sein Vermögen vermachen würde.
Wir waren auf dem Rückweg von einem Baseballspiel der Kinderliga in Savin Hill und hatten uns bis zur Dunkelheit draußen herumgetrieben, hatten in dem Wald hinter der Motley School Räuber und Gendarm gespielt, waren die baufällige Feuertreppe auf das Dach der Schule hinaufgeklettert. Als wir hinunterstiegen, war es schon spät und ziemlich kühl, lange Schatten ruhten auf den Wänden und zogen sich mit klaren Umrissen bis auf die Fahrbahn, als seien sie dort hineingeritzt worden.
Wir gingen die Savin Hill Avenue hinunter. Die Sonne war nun völlig verschwunden, und der Himmel nahm die Farbe polierten Metalls an. Wir warfen uns den Ball zu, um uns warm zu halten, und ignorierten unsere knurrenden Mägen, weil sie uns mahnten, dass wir früher oder später nach Hause gehen mussten, denn unser Zuhause war ein Alptraum.
Der Lieferwagen glitt von hinten an uns heran, als wir bei der UBahn-Station gerade die abschüssige Strasse hinuntergehen wollten, und ich weiß noch ganz genau, dass mir auffiel, wie menschenleer die Strasse war. Sie lag in dieser plötzlichen Leere vor uns, die sich immer überall zur Essenszeit breitmacht. Obwohl es noch nicht dunkel war, waren in einigen Häusern entlang der Strasse orange und gelb

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