Absender unbekannt
Hechtsprung übers Bett griff ich nach meiner Pistole, die auf Angies Nachtschrank lag, kam wieder auf die
Füße und feuerte, ohne zu zögern, in die Richtung, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte.
Aber er war nicht mehr da.
Ich sah mich zu Angie um, die auf dem Boden saß. Mit zugekniffenem Auge schielte sie am Lauf des Revolvers und ihrem ausgestreckten Arm entlang, neben ihr auf dem Boden brannte eine Kerze. In der Küche hielten Fußstapfen inne. Angie drückte ab. Und drückte nochmals ab.
In der Küche schrie jemand.
Von draußen hörte ich ein anderes Geräusch, es war das Kreischen von Metall, das Aufheulen eines Motors, und plötzlich wurde die Küche in grelles Neonlicht getaucht, gefolgt vom Summen der elektrischen Geräte.
Ich trat die brennende Kerze neben Angie aus und ging hinter ihr in den Flur, die Waffe auf Evandro gerichtet. Er hatte uns den Rücken zugewandt, die Arme hingen seitlich herunter. Mitten in der Küche wiegte er sich leicht von links nach rechts, als bewege er sich zu einer Musik, die nur er hören konnte.
Angies erster Schuss war in seinen Rücken eingetreten, in Dunns schwarzer Lederjacke klaffte ein großes Loch. Es füllte sich rot, während wir zusahen, dann hörte Evandro auf zu schwanken und knickte mit einem Knie ein.
Ihr zweiter Schuss hatte ihm ein Stück Fleisch über dem rechten Ohr herausgerissen.
Geistesabwesend hob er die Hand, in der er Dunns Revolver hielt, doch die Waffe entglitt ihm und rutschte über das Linoleum. „Alles in Ordnung?“ fragte ich Angie.
„Blöde Frage!“ stöhnte sie. „O Gott! Geh in die Küche!“
„Wo ist der Typ, der auf dich geschossen hat?“
„Er ist in die Küche gegangen. Geh da rein!“
„Scheiß drauf! Du bist verletzt.“
Sie zog eine Grimasse. „Mir geht’s gut, Patrick. Aber er kann die Knarre wieder in die Hand nehmen. Gehst du jetzt da rein?“ Ich ging hinein, hob Dunns Waffe auf und stellte mich vor Evandro. Er starrte mich an, während er vorsichtig die Stelle am Kopf befühlte, wo vor kurzem noch Fleisch und Haut gewesen war. Sein Gesicht glänzte grau im Licht der knisternden Neonröhren über uns. Er weinte lautlos, die Tränen vermischten sich mit dem Blut, das an seinem Gesicht herunterlief, und seine Haut war so blass, dass er mich an die Clowns von damals erinnerte.
„Tut gar nicht weh“, sagte er.
„Aber bald!“
Er starrte mich mit verwirrtem, einsamem Blick an.
„Es war ein blauer Mustang“, erklärte er mir. Es schien ihm wichtig zu sein, dass ich das verstand.
„Was?“
„Das Auto, das ich geknackt habe. Es war blau und hatte weiße Ledersitze.“
„Evandro“, sprach ich ihn an, „wer ist dein Partner?“
„Die Radkappen glänzten.“
„Wer ist dein Partner?“
„Fühlst du irgendwas für mich?“ fragte er mit weit aufgerissenen Augen und flehentlich ausgestreckten Händen.
„Nein“, erwiderte ich mit flacher, ausdrucksloser Stimme. „Aber wir kriegen dich noch“, sagte er. „Wir gewinnen.“
„Wer ist wir?“ fragte ich erneut.
Er blinzelte das Blut und die Tränen weg. „Ich war in der Hölle.“ „Ich weiß.“
„Nein. Nein. Ich bin in der Hölle gewesen!“ rief er, und wieder liefen ihm Tränen übers schmerzverzerrte Gesicht.
„Und danach hast du anderen die Hölle gezeigt. Los, Evandro! Wer ist dein Partner?“
„Weiß ich nicht mehr.“
„Blödsinn, Evandro. Sag es mir!“
Er entglitt mir zusehends, wie er so die Hand an den Kopf legte und versuchte, den Blutstrom zu stillen. Gleich würde er vor meinen Augen sterben, das wusste ich, vielleicht im nächsten Moment oder in ein paar Stunden, aber es war nicht mehr aufzuhalten. „Weiß ich nicht mehr“, wiederholte er.
„Evandro, er hat dich im Stich gelassen. Du stirbst gerade. Er nicht. Los, komm! Ich…“
„Ich weiß nicht mehr, wer ich war, bevor ich dahin kam. Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nicht mal mehr…“ Seine Brust hob sich unvermittelt, die Wangen bliesen sich auf wie bei einem Kugelfisch, und ich hörte etwas in seiner Brust rumoren.
„Wer ist…“
„… nicht mal mehr, wie ich als Kind ausgesehen habe.“ „Evandro?“
Er erbrach Blut auf den Boden und betrachtete es kurz. Als er sich mir wieder zuwandte, sah er erschrocken aus.
Mein Gesicht war wahrscheinlich kein großer Trost für ihn, denn als ich sah, was er gerade ausgespuckt hatte, wusste ich, dass er nicht mehr lange zu leben hatte.
„Oh, Scheiße!“ sagte er und guckte auf seine ausgestreckten Hände.
„Evandro…“
Er starb in der
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