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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Sorgen über Angie, als dass er sich hätte vorstellen können, dass auch er gemeint war.
Er ging zwei Schritte hinter der Bahre her, bis ihm ein Bulle mit dem Kolben seiner Waffe aufs Schlüsselbein schlug.
„Das ist ihr Mann!“ rief ich. „Das ist ihr Mann.“
„Halt die Schnauze, du Arschloch! Lass die Hände oben, verdammte Scheiße! Los! Mach schon!“
Ich gehorchte. Ich verharrte regungslos auf den Knien, während die Bullen vorsichtig näher kamen, die eiskalte Luft um meine nackten Füße und unter das dünne Hemd wehte, und die Notärzte Angie hinten in den Krankenwagen schoben und mit ihr fortfuhren.

35
    Als die Polizei alles geklärt hatte, lag Angie schon seit zwei Stunden im OP.
Gegen vier Uhr morgens durfte Phil gehen – er hatte das Krankenhaus angerufen, aber ich musste dableiben und die ganze Sache mit vier Polizeibeamten und einem nervösen jungen Staatsanwalt durchkauen.
Timothy Dunns Leiche wurde, nackt in einen Mülleimer gestopft, in der Nähe der Schaukeln auf dem Ryan-Spielplatz gefunden. Man nahm an, dass Evandro ihn dorthin gelockt hatte, indem er Dünn durch verdächtiges Verhalten auf sich aufmerksam machte. Man fand ein weißes Betttuch, das von einem Basketballkorb herunterhing. Von Dunns Streifenwagen aus musste es sich genau in seinem Blickfeld befunden haben. Wenn ein Mann um zwei Uhr in einer eisigen Nacht ein Betttuch an einen Basketballkorb hängt, war das wahrscheinlich ungewöhnlich genug, um die Neugier des jungen Polizisten zu wecken, reichte aber nicht als Grund aus, um Verstärkung anzufordern.
Das Betttuch fror am Gestänge des Korbes fest, dort hing es nun, ein weißer Diamant vor einem zinnfarbenen Himmel.
Dünn musste gerade die Stufen zum Spielplatz hochgestiegen sein, als Evandro hinter ihn trat und ihm das Stilett ins rechte Ohr jagte. Der Mann, der auf Angie geschossen hatte, war durch die Hintertür ins Haus gekommen. Seine Fußabdrücke der Größe 8 fanden sich überall im Hinterhof, verloren sich aber auf der Dorchester Avenue. Die von Erdham installierten Alarmanlagen waren durch den Stromausfall nutzlos geworden, der Mann brauchte nur noch das drittklassige Bolzenschloss an der Hintertür knacken und war im Haus.
Die beiden Schüsse von Angie hatten ihn verfehlt. Eine Kugel fand sich in der Wand neben der Tür. Die andere war vom Herd abgeprallt und im Fenster über der Spüle eingeschlagen.
Musste also nur noch das Phänomen Evandro erklärt werden. Wenn einer der ihren ermordet wurde, werden Polizisten schnell zu beängstigenden Zeitgenossen. Die sonst hinter ihrer Fassade brodelnde Wut kommt zum Vorschein, so dass man das arme Schwein bedauern muss, das sie als nächstes festnehmen.
In dieser Nacht war es noch schlimmer als sonst, weil Timothy Dünn der Verwandte eines hochdekorierten Kollegen war. Er war jung und unschuldig, beruflich vielversprechend, aber man hatte ihn aus seiner blauen Uniform gerissen und in eine Mülltonne gesteckt. Während ich in der Küche von Detective Cord verhört wurde, einem weißhaarigen Mann mit freundlicher Stimme und gnadenlosem Blick, umkreiste Officer Rogin, ein wahrer Riese, mit geballten Fäusten Evandros Leiche.
Rogin kam mir wir die Sorte Mensch vor, die aus dem gleichen Grund Bulle wird, aus dem andere Gefängniswärter werden: weil sie so, gesellschaftlich sanktioniert, ihren sadistischen Neigungen frönen können.
Evandros Leiche befand sich noch immer in der gleichen Haltung, die den mir bisher bekannten Gesetzen der Anatomie und Schwerkraft trotzte – ein Knie auf dem Boden, die Arme seitlich herunterhängend, der Blick nach unten gerichtet.
Bald würde er in die Leichenstarre eintreten, und das schien Rogin zu stören. Lange betrachtete er Evandro, schnaufte durch die Nase und ballte die Fäuste, so als sei er der Meinung, wenn er nur lange genug dastünde und bedrohlich wirkte, würde er Evandro wieder auferwecken, um ihn erneut erschießen zu können.
Es gelang ihm nicht.
Da machte Rogin einen Schritt nach hinten und trat der Leiche mit seinem Stahlkappenschuh ins Gesicht.
Evandros Leiche fiel auf den Rücken, die Schultern prallten auf den Fußboden. Ein Bein knickte um, der Kopf fiel nach links, und die Augen blickten auf den Herd.
„Rogin, was machst du da für Scheiße?“
„Nur keine Aufregung, Hughie!“
„Das gibt einen Bericht!“ stellte Detective Cord fest.
Rogin blickte ihn an. Es lag auf der Hand, dass zwischen den beiden schon früher etwas vorgefallen war.
Rogin zuckte übertrieben mit

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