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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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oder malte sie in ihr Notizbuch. Als sie älter wurde und die Ecke, von der aus man den Blake Yard überblicken konnte, zu ihrem Platz auserkoren hatte, als ihre Altersgruppe den Platz einnahm, den meine Kameraden zehn Jahre zuvor verlassen hatten, sah man sie abseits an einen Zaun oder Verandapfeiler gelehnt sitzen, einen Fruchtwein trinken und auf die Strasse gucken, als käme sie ihr plötzlich fremd vor. Sie war eine Außenseiterin und als seltsam verschrien, weil sie schön war, mindestens doppelt so schön wie die anderen Mädchen, und Schönheit galt in dieser Gegend mehr als jedes andere Gut, weil sie noch stärker vom Zufall abhängig war als ein Lottogewinn. Schon als sie laufen lernte, wusste jeder, dass sie niemals hierbleiben würde. Die Schönen waren nicht zu halten, ihnen stand der Abschied im Gesicht geschrieben. Wenn man mit ihr sprach, war immer ein Teil von ihr in Bewegung, der Kopf, die Arme oder die zappelnden Beine, so als ließe dieses Körperteil den Gesprächspartner und alle anderen bereits hinter sich und bewege sich auf den Ort zu, den sie in der Ferne wähnte.
Wenn sie unter ihren Freunden auch eine Ausnahme war, so tauchte doch alle fünf Jahre eine wie Kara auf. Zu meiner Zeit war das Angie gewesen. Und soweit ich weiß, ist sie die einzige, die die seltsam verdrehte Logik dieses Ortes durchbrach und blieb. Vor Angie war es Eileen Mack, die noch im Universitätstalar in den Zug stieg und einige Jahre später in Starsky
und Hutch zu sehen war. Innerhalb von sechsundzwanzig Minuten lernte sie Starsky kennen, schlief mit ihm, erwarb sich die Anerkennung von Hutch (obwohl das eine Weile ganz und gar nicht so schien) und nahm Starskys gestotterten Heiratsantrag an. Nach der nächsten Werbepause war sie bereits tot, und Starsky tobte herum, fand ihren Mörder und erschoss ihn mit einem wilden, selbstgerechten Gesichtsausdruck. Die Folge endete damit, dass er im Regen vor ihrem Grab stand, und wir Zuschauer wussten, dass er nie darüber hinwegkommen würde.
In der nächsten Folge hatte er eine neue Freundin, und Eileen ward nie wieder gesehen, weder von Starsky noch von Hutch oder irgend jemand aus unserer Gegend.
Kara ging nach einem Jahr an der Universität von Massachusetts nach New York – das war das letzte, was ich von ihr gehört hatte. Angie und ich hatten sie sogar in den Bus steigen sehen, als wir eines Nachmittags aus dem Pub kamen. Es war Hochsommer, und Kara stand auf der anderen Straßenseite an der Bushaltestelle. Ihre natürliche Haarfarbe war weizenblond, die dünnen Strähnen wehten ihr in die Augen, während sie den Träger ihres hellen Strandkleides zurechtrückte. Sie winkte uns zu, und wir winkten zurück. Als dann der Bus hielt, griff sie nach ihrem Koffer, stieg ein und war wie vom Erdboden verschluckt.
Jetzt war ihr Haar blauschwarz gefärbt, kurz geschnitten und stand vom Kopf ab. Ihre Haut war kreidebleich. Sie trug ein ärmelloses schwarzes Oberteil mit Rollkragen, das sie in eine bemalte schwarze Jeans gestopft hatte. Jeden ihrer Sätze beendete sie mit einem nervösen, halb keuchenden Laut, der wie ein Schluckauf klang. „Schöner Tag, hm?“
„Ja, wirklich. Letztes Jahr hatten wir im Oktober schon Schnee.“ „In New York auch.“ Sie kicherte, nickte sich zu und blickte auf ihre abgelaufenen Stiefel hinunter. „Hm. Ja.“
Ich nahm einen Schluck Kaffee. „Wie geht’s dir, Kara?“
Sie legte wieder die Hand über die Augen und sah sich den durch die Strasse kriechenden morgendlichen Berufsverkehr an. Grelles Sonnenlicht wurde von den Windschutzscheiben zurückgeworfen und blitzte durch ihr stacheliges Haar. „Mir geht’s gut, Patrick. Wirklich gut. Und was ist mit dir?“
„Kann nicht klagen.“ Ich blickte nun auch die Strasse hinunter, und als ich mich ihr wieder zuwandte, betrachtete sie aufmerksam mein Gesicht, als denke sie gerade darüber nach, ob sie es anziehend oder abstoßend fände.
Sie schwankte leicht hin und her, eine fast nicht wahrnehmbare Bewegung, und durch die offene Tür des Black Emerald hörte ich zwei Männer etwas von fünf Dollar und einem Baseballspiel rufen. Sie fragte: „Immer noch Detektiv?“
„Aham.“
„Ist es in Ordnung?“
„Manchmal schon“, erwiderte ich.
„Meine Mom hat letztes Jahr in einem Brief was von dir geschrieben; dass du in allen Zeitungen warst. Riesensache damals.“ Es überraschte mich, dass Karas Mutter in der Lage war, das Scotchglas so lange zur Seite zu stellen, um eine Zeitung zu lesen, ganz

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