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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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alles.“
Ich warf ihr einen verständnislosen Blick zu, und sie nickte mir zu, so als teilten wir ein Geheimnis, dann ging sie in die Bar und war verschwunden.

8
    Schon bevor mein Vater sich für den Stadtrat aufstellen ließ, hatte er sich in der Lokalpolitik engagiert. Er tat seine Meinung auf Protestschildern kund und ging von Haus zu Haus, und alle Chevys, die wir in meiner Kindheit und Jugend besessen hatten, trugen immer unzählige Aufkleber auf der Stossstange, die von der Parteizugehörigkeit meines Vaters kündeten. Für ihn hatte Politik nichts mit gesellschaftlichem Wandel zu tun, auch war es ihm scheißegal, was die meisten Politiker öffentlich versprachen. Was ihn interessierte, waren Beziehungen. Die Politik war das letzte richtige Baumhaus im Leben, und wenn man darin mit den besten Kindern aus der Gegend saß, konnte man die Leiter einziehen, und die anderen waren die Dummen.
Mein Vater hatte Stan Timpson unterstützt, als dieser noch neu in der Staatsanwaltschaft war und frisch von der Uni für den Stadtrat kandidierte. Schließlich kam Timpson aus unserem Stadtteil, er war der kommende Mann, und wenn alles nach Plan verlief, würde er bald derjenige sein, den man anrufen musste, wenn eine Strasse gesperrt, lärmende Nachbarn verwarnt oder der Cousin auf die Gehaltsliste der Gewerkschaften gesetzt werden sollte.
Aus meiner Kindheit habe ich nur vage Erinnerungen an Timpson, doch konnte ich nicht sagen, inwiefern meine eigenen Erinnerungen von dem Bild Timpsons beeinflusst worden waren, das mir im Fernsehen geboten wurde. Als ich dann seine Stimme gefiltert durch meinen Hörer vernahm, klang sie seltsam körperlos, als sei sie vorher aufgezeichnet worden.
„Pat Kenzie?“ fragte er freundlich.
„Patrick, Mr. Timpson.“ /
„Wie geht’s dir, Patrick?“
„Ganz gut, Sir. Und Ihnen?“
„Bestens, wirklich. Könnte nicht besser sein.“ Er lachte warmherzig wie über einen gemeinsamen Scherz, der mir leider entgangen war. „Diandra sagte, du wolltest mir ein paar Fragen stellen?“ „Ja, das stimmt.“
„Na, dann schieß mal los, mein Junge.“
Timpson war vielleicht zehn oder zwölf Jahre älter als ich. Keine Ahnung, wieso ich da sein Junge sein konnte.
„Hat Diandra Ihnen von dem Foto von Jason erzählt, das ihr zugeschickt wurde?“
„Klar hat sie das, Patrick. Und ich muss dir sagen, es kommt mir etwas komisch vor.“
„Also, tja…“
„Ich persönlich glaube, da spielt ihr jemand einen Streich.“ „Ganz schön aufwendiger Streich.“
„Sie sagte, die Mafia-Connection hättest du verworfen?“ „Momentan ja.“
„Tja, ich weiß nicht, was ich dir erzählen soll, Pat.“
„Arbeitet die Staatsanwaltschaft vielleicht an einem Fall, Sir, der jemand veranlasst haben könnte, Ihre Exfrau und Ihren Sohn zu bedrohen?“
„Das ist doch nur in Filmen so, Pat.“
„Patrick.“
„Ich meine, vielleicht führt man in Bogota private Rachefeldzüge gegen Staatsanwälte. Aber in Boston? Ach komm, mein Junge, mehr fällt dir nicht ein?“ Noch ein herzlicher Lacher.
„Sir, das Leben Ihres Sohnes ist vielleicht in Gefahr und…“ „Dann schütze ihn, Pat.“
„Das versuche ich ja, Sir. Aber das kann ich nicht, wenn…“ „Weißt du, was ich von der ganzen Sache halte? Ich sag’s dir: Das ist einer von Diandras Verrückten. Hat vergessen, seine Tabletten zu nehmen, und möchte ihr jetzt richtig Angst einjagen. Geh einfach mal ihre Patientenliste durch, mein Junge! Das ist mein Vorschlag.“ „Sir, wenn Sie mir nur…“
„Pat, hör mir mal zu! Ich bin jetzt schon seit fast zwanzig Jahren nicht mehr mit Diandra verheiratet. Als sie gestern Abend anrief, war das das erste Mal nach sechs Jahren. Keiner weiß, dass wir mal verheiratet waren. Keiner weiß von Jason. Beim letzten Wahlkampf, kannst du mir glauben, haben wir damit gerechnet, dass die Sache hochkommt: dass ich meine erste Frau samt kleinem Sohn verlassen und mich in der ganzen Zeit nicht groß um sie gekümmert habe. Und was glaubst du, Pat? Niemand kam damit an. Ein schmutziger Wahlkampf in einer schmutzigen Stadt, doch keiner kam damit an. Keiner weiß, dass zwischen mir und Diandra und Jason eine Verbindung besteht.“
„Was ist mit…“
„War schön, mit dir zu sprechen, Pat. Sag deinem Vater, Stan Timpson lässt ihn grüssen! Fehlt mir, der alte Junge. Wo treibt er sich denn im Moment herum?“
„Auf dem Cedar Grove Friedhof.“
„Ach, hat er einen Job als Friedhofswächter angenommen? Gut, ich muss Schluss machen.

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