Absender unbekannt
zu schweigen davon, ihrer Tochter einen Brief über dieses Erfolgserlebnis zu schreiben.
„Gab sonst nicht viel zu schreiben.“
Sie warf einen Blick zur Bar hinüber und fuhr sich dann mit dem Finger über das Ohr, als streiche sie eine nicht vorhandene Haarsträhne nach hinten. „Wieviel nimmst du?“
„Hängt vom Fall ab. Brauchst du einen Detektiv, Kara?“
Einen Moment lang wirkten ihre Lippen schmal und einsam, so als hätte sie beim Küssen die Augen geschlossen und danach wieder geöffnet, aber der Geliebte war verschwunden. „Nein.“ Sie lachte und gluckste dann wieder. „Ich ziehe bald nach L. A. Hab eine Rolle in Zeit der Sehnsucht. „„„Echt? Hey, Glückwunsch…“
„Nur als Statistin“, schüttelte sie den Kopf. „Ich bin die Krankenschwester, die immer mit den Papieren herumfuchtelt hinter der Schwester, die an der Anmeldung steht.“
„Na ja“, lenkte ich ein, „ist ein Anfang.“
Ein Mann streckte den Kopf aus der Bar, sah nach rechts, dann nach links und erkannte uns schließlich mit verschwommenen Augen. Es war Micky Doog, nebenberuflich Bauarbeiter, hauptberuflich Koksdealer, früher der Herzensbrecher in Karas Clique, der trotz zurückweichendem Haaransatz und schwindenden Muskeln immer noch versuchte, jugendlich zu wirken. Als er mich sah, blinzelte er, dann zog er den Kopf wieder zurück.
Karas Nacken spannte sich an, als hätte sie Micky hinter sich gespürt. Dann beugte sie sich mir entgegen, und ich spürte den scharfen Geruch von Rum aus ihrem Mund, und das um zehn Uhr morgens.
„Ganz schön verrückt, was?“ Ihre Pupillen blitzten wie Rasierklingen.
„Hm… ja“, bestätigte ich. „Brauchst du Hilfe, Kara?“
Wieder lachte sie Und gluckste.
„Nein, nein. Nein, ich wollte dir nur hallo sagen, Patrick. Du warst für unsere Clique so was wie der große Bruder.“ Sie wies mit dem Kopf in Richtung Bar, so dass ich sah, wohin es ihre „Clique“ heute morgen verschlagen hatte. „Ich wollte nur, du weißt schon, dir einfach hallo sagen.“
Ich nickte und sah, dass ihr kleine Schauer über die Haut an ihren Armen liefen. Sie beobachtete weiter mein Gesicht, als könne sie darin etwas lesen, wandte den Blick dann enttäuscht ab, nur um mich eine Sekunde später wieder anzusehen. Ich musste an ein armes Kind denken, das zusammen mit anderen, reichen Kindern vor einem Eiswagen steht. Es war so, als sähe sie zu, wie die Eistüten und Schokoladeneclairs über ihren Kopf hinweg den Besitzer wechselten, und ein Teil von ihr wüsste, dass sie nichts bekommen würde, der andere Teil aber immer noch hoffte, der Eismann könnte ihr irrtümlich oder aus Mitleid doch etwas geben. Sie litt, weil sie sich schämte, etwas zu begehren.
Ich zog meine Brieftasche hervor und entnahm ihr eine Visitenkarte. Sie runzelte die Stirn und sah mich an. Dann lächelte sie sarkastisch, es wirkte ein bisschen hässlich.
„Mir geht’s gut, Patrick.“
„Du bist um zehn Uhr morgens schon halb voll, Kara!“
Sie zuckte die Achseln. „Irgendwo ist es schon Mittag.“
„Hier aber noch nicht.“
Micky Doog steckte wieder den Kopf aus der Tür. Er blickte mich direkt an, jetzt waren seine Augen nicht mehr so verschwommen, sondern waren durch eine Prise Koks, oder was immer er momentan verkaufte, mutig geworden.
„Hey Kara, kommst du wieder rein?“
Sie machte eine kleine Bewegung mit den Schultern, meine Visitenkarte in ihrer Hand wurde feucht. „Bin sofort wieder da, Mick.“ Mickey schien noch mehr sagen zu wollen, trommelte jedoch gegen die Tür, nickte und verschwand.
Kara blickte die Strasse hinunter und starrte lange die Autos an. „Wenn man irgendwo weggeht“, stellte sie fest, „glaubt man, dass alles kleiner aussieht, wenn man zurückkommt.“ Sie schüttelte den Kopf und seufzte.
„Tut es nicht?“
Wieder schüttelte sie den Kopf. „Sieht genauso beschissen aus wie zuvor.“
Sie ging ein paar Schritte/rückwärts und tippte sich mit meiner Karte auf die Hüfte. Als sie mich wieder ansah, hatte sie große Augen. „Alles Gute, Patrick!“
„Dir auch, Kara.“
Sie hielt meine Karte hoch. „Hey, jetzt wo ich die hier habe, hm?“ Sie schob die Karte in die Gesäßtasche ihrer Jeans und wandte sich der offenen Tür des Black Emerald zu. Dann hielt sie inne, drehte sich um und lächelte mir zu. Es war ein breites, hübsches Lächeln, doch schien ihr Gesicht nicht daran gewöhnt zu sein: Die Wangen zitterten angestrengt.
„Pass auf, Patrick, ja?“
„Worauf?“
„Auf alles, Patrick. Auf
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