Abzocke im Online-Chat
ließ sich
nicht darauf ein.
»Mir doch egal«, sagte er nur
und gab das rote Heft an Tim zurück, der es in die Aktentasche steckte.
»Jedenfalls gehört uns das Zeug
nicht«, sagte Tim. »Also bringen wir die Tasche zum Fundbüro. Der Besitzer wird
sich freuen, dass es noch ehrliche Finder gibt.«
»Gut, soll er sich halt
freuen«, brummte Karl. »Aber erst einmal würde ich mich freuen, wenn meine
lieben Freunde mal für einen Augenblick die blöde Tasche vergessen könnten. Das
Fundbüro hat auch morgen noch geöffnet. Ich will jetzt zu SUPER-ELEKTRO. Wer
weiß, ob der Laptop nicht schon ausverkauft ist...«
»Jetzt oder nie!«, rief Gaby.
»Also auf zu SUPER-ELEKTRO!«
Gerade schoben sie die
Mountainbikes wieder auf die Straße, da näherte sich ein Mann. Sein Blick
schweifte umher. Anscheinend suchte er etwas.
Der Mann war nicht mehr jung
und noch nicht alt, irgendwie dazwischen. Das galt auch für Größe und
Körpergewicht des Mannes. Eine unauffällige Erscheinung also, wenn nicht die
ausgefallene Kleidung gewesen wäre. Sie hob ihn von den Durchschnittsmenschen
ab.
Die schwarzen Halbschuhe waren
nicht gerade der Brüller, aber der erdbeerrote Anzug fiel selbst in der
Millionenstadt auf. Ein weißer Strohhut mit einer breiten Krempe
vervollständigte das eigenartige Outfit.
»Cool«, sagte Klößchen und
stupste Gaby an. »Vielleicht lege ich mir auch einen Hut zu. Was meinst du?
Würde mir ein Hut stehen?«
Gaby kicherte. »Deine Schönheit
kann doch nichts entstellen.«
»Sehe ich auch so«, meinte Tim
und zuckte zusammen, als der behütete Mann plötzlich auf die vier vom TKKG
zutrat.
»Hallo«, sagte er und lächelte
freundlich. »Ein schöner Tag, dieser Tag. Aber leider nicht mein Glückstag.«
»Da können wir uns ja die Hand
reichen«, sagte Klößchen.
Der Mann starrte auf die
Aktentasche, die Tim unter den Arm geklemmt hatte.
»Man soll den Tag ja nicht vor
dem Abend verfluchen«, fuhr der Mann mit gleichbleibender Freundlichkeit fort.
»Vielleicht wird der Tag ja doch noch zu meinem Glückstag. Ich bin sogar sehr
zuversichtlich, dass er das wird.«
Mit der rechten Hand berührte
er die Aktentasche. Tim trat einen halben Schritt zurück. Was hatte der Typ
vor? Die Tasche klauen? Oder...?
»Wer sind Sie? Und was wollen
Sie von uns?«, fragte Tim leicht genervt.
»Verzeihung, ich hab mich gar
nicht vorgestellt.«
Der Mann lüftete den Strohhut
und deutete eine Verbeugung an. »Gestatten, Johann Leihmer.« Der Hut verdeckte
wieder die Vollglatze, die kurz zum Vorschein gekommen war. »Also, mir ist
Folgendes passiert. Vor etwa einer halben Stunde führte mich mein Weg hier
vorbei. Da vorn auf der Bank ruhte ich mich aus und genoss ein wenig die Sonne.
Da klingelte mein Handy. Meine Sekretärin rief wegen einer Belanglosigkeit an.
Beim Weggehen war ich etwas verärgert und vergaß meine Aktentasche. Sie ist
nicht gerade wertvoll. Aber für mich hat sie eine besondere Bedeutung. Mein
Vater hat sie mir einst zu meinem fünfzehnten Geburtstag geschenkt. Seitdem
sind wir unzertrennlich. Ich meine, die Tasche und ich. Dreißig Jahre ist das
nun her...«
Er leckte sich die Lippen. »Lag
die Tasche noch auf der Bank?«
»Nein, auf der Straße«, sagte
Klößchen. »Und mich hat sie mein Schokoladeneis gekostet.«
»Wie darf ich das verstehen?«,
fragte Johann Leihmer.
Klößchen ließ es sich nicht
nehmen, den Zwischenfall in allen Einzelheiten zu erzählen.
Leihmer lächelte amüsiert.
»Dann bin ich dir ja ein Eis schuldig. Ach was...« Er griff tief in seine
Hosentasche und zog einen zerknüllten 50-Euro-Schein heraus. »Ehrlichkeit muss
belohnt werden.«
Die vier Freunde standen wie
angewurzelt und starrten auf den Geldschein. Damit hatte niemand gerechnet — 50
Euro für so eine schäbige Aktentasche, das war echt der Hammer.
Klößchen griff rasch zu, ehe
Johann Leihmer es sich vielleicht noch anders überlegte.
»Vielen Dank auch. Wäre ja
nicht nötig gewesen«, sagte er.
Tim hatte nun keinen Grund
mehr, die Aktenmappe noch länger zurückzuhalten. Auch wenn ihm die Geschichte
reichlich seltsam vorkam. Aber anscheinend war dieser Johann Leihmer der
rechtmäßige Besitzer. Gegen den Finderlohn hatte er auch keine Einwände.
»Bitte«, sagte er knurrig.
»Danke«, sagte Leihmer. »Dann
will ich euch nicht länger aufhalten.« Er lüftete wieder den Hut.
»Wollen Sie nicht... nicht
nachsehen, ob... ob auch nichts fehlt«, sagte Karl mit nervöser Stimme und
nestelte an
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