Abzocke im Online-Chat
Klößchen.
»Was?« Tim war mit seinen
Gedanken noch bei Patrick Schneider. Mit leiser Stimme berichtete er von seiner
seltsamen Begegnung auf der Toilette. Auch von Dick und Doof erzählte er
Klößchen.
»Was? Der Patrick Schneider aus
der 9a. Der Musterschüler des Internats. Der soll ein Problem haben?
Das kann ich mir nicht
vorstellen.« Klößchen trommelte mit allen zehn Fingern auf der Tischplatte.
»Das bildest du dir sicher nur ein. Und Dick und Doof...« Er machte eine
abfällige Handbewegung. »Angeber! Das weiß doch jeder.«
»Schon möglich«, sagte Tim und
stand so ruckartig auf, dass er beinahe den Stuhl umgestoßen hätte. Die kleine
dicke Frau, die hinter der Essensausgabe arbeitete, warf ihm einen besorgten
Blick zu. Tim hob entschuldigend die Hände.
»Vergiss Patrick Schneider«,
sagte Klößchen. »Vergiss Dick und Doof.«
»Schon vergessen.« Tim knuffte
Klößchen und lachte. »Man muss ja auch nicht aus jeder Mücke einen Elefanten
machen. Stimmt’s?«
Die beiden Freunde holten ihre
Mountainbikes aus dem
Fahrradkeller, schoben sie durch das Tor und düsten los.
Die Sonne heizte an diesem
Mittwoch im Mai mächtig ein. Es war windstill. Der wolkenlose Himmel war so
blau wie auf einer Ansichtskarte aus einem südlichen Land.
»Verdammt heiß!«, rief Klößchen
schon nach wenigen Metern und hielt an.
»Was ist denn? Wir sind eh
schon spät dran«, sagte Tim missmutig. Mit seinen Gedanken war er noch immer
bei dem Jungen aus der 9a. Viel wusste er nicht über ihn. Patrick Schneider war
als Streber verschrien und lief zu jeder Jahreszeit in einem Anzug herum.
Meistens hatte er auch eine Krawatte umgebunden. In Jeans und T-Shirt sah man
ihn selten, und wenn, dann hatte die Jeans messerscharfe Bügelfalten.
Turnschuhe trug er nur beim Sport. Er bevorzugte schwarze Halbschuhe, die stets
so blank gewienert waren, dass man sich darin spiegeln konnte.
Ein merkwürdiger Typ, dieser
Patrick Schneider. Freunde hatte er keine, aber auch keine Feinde. Man
beachtete ihn einfach nicht.
Klößchen zog seine Windjacke
aus und schlang sich ihre Ärmel um den Bauch. Aber sie waren zu kurz, um sie zu
verknoten. Er rollte die Jacke zusammen und schob sie unter sein T-Shirt. Nun
sah er aus wie im sechsten Monat schwanger. Das gefiel ihm auch nicht. Was also
tun mit der Jacke? Zu dumm auch, dass es bei einem Mountainbike keinen
Gepäckträger gab. Vielleicht sollte er sich einen Korb zulegen, den er an den
Lenker hängen könnte. Endlich hatte er die Erleuchtung. Er wickelte die Jacke
kunstvoll um den Sattel.
Tim tippte unterdessen
fingerflink eine SMS an Gaby: Sorry, wird etwas später. Freue mich auf dich. LG
Tim. Zu den abgekürzten Lieben Grüßen kam noch ein Dutzend Smileys.
Die Vorfreudegedanken auf Gaby
verdrängten die Grübeleien um Patrick Schneider. Während sie in Richtung Stadt
radelten, dachte Tim mit einem zärtlichen Gefühl an seine Freundin. Gaby
Glockner ging auch in die 9b, lebte aber bei ihren Eltern. Herr Glockner war Kommissar
bei der Kriminalpolizei. Frau Glockner führte einen Feinkostladen. Über dem
Geschäft wohnten die Glockners.
Gaby hatte blonde Haare, blaue
Augen und war das schönste Mädchen auf der ganzen Welt — jedenfalls in Tims
verliebten Augen. Sie war eine gute Schülerin und sehr sprachbegabt. In
Französisch schrieb sie eine Eins nach der anderen. Aber auch sportlich hatte
sie eine Menge drauf. Sie war eine fantastische Schwimmerin, die schon etliche
Preise gewonnen hatte.
Ihre Freunde durften sie
»Pfote« nennen. Das hatte seinen Grund. Gaby konnte an keinem Hund Vorbeigehen,
ohne »Gib Pfote« zu sagen. Meistens erfüllten die Hunde ihr den Wunsch. Sie
selbst hatte einen Cockerspaniel. Er hieß Oskar und stammte aus dem Tierheim.
Klößchen legte schon wieder
eine Pause ein. Die Windjacke war verrutscht. Ein Ärmel schleifte auf dem
Boden. Fast wäre er in die Speichen des Hinterrads geraten.
»Dann zieh die blöde Jacke halt
wieder an«, sagte Tim, der nur ein gelbes T-Shirt zu den weißen Jeans trug.
Klößchen schnaufte und nahm
Tims Vorschlag an. Gerade hatten sie wieder ein paar Meter zurückgelegt, da
fiepte Tims Handy.
»Eine SMS von Gaby«, sagte er
und strahlte mit der Sonne um die Wette.
»Aha. Und was schreibt sie?«
»Wir sollen uns beeilen. Karl
dreht gleich durch.«
»Das kann ich mir vorstellen.
Ich bin froh, wenn die Sache gelaufen ist. Seit Wochen redet er von nichts
anderem.« Klößchen zog den Reißverschluss der
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