Acacia
gefolgt, hatten von und mit ihnen gelebt, nicht viel anders als die Menschen der vergessenen Vorzeiten. Mehrere Generationen hatte es gedauert, bis sie den Ort fanden, wo später Tahalia gegründet wurde, bis sie lernten, sich die unter der Eiskruste brodelnden heißen Gase zunutze zu machen, und sich wieder zu einem sesshaften Dasein eingruben, die großen Bäume fällten und sich daranmachten, sich in der unwirtlichsten Region der Bekannten Welt eine Zuflucht zu errichten. Und noch mehr Generationen verstrichen, bis sie sich zögernd wieder der großen Welt zuwandten, allem, was die Akaran darstellten, Treue gelobten, mit jedem Wort vorgaben, dass die Vergangenheit sich niemals so ereignet hatte, wie sie gewesen war, und dass sie sich nichts anderes wünschten, als dem großen Acacia nachzueifern, es zu unterstützen und an seiner Seite zu kämpfen.
All diese Erinnerungen rief der Duft des Rentierfleischs in Hanish wach. Er bezweifelte, dass die Kinder Acacias irgendetwas von diesen Dingen wussten. Es gab so vieles in der Weltgeschichte, wovor sie die Augen verschlossen. Was sie beschämte, vergaßen sie und redeten sich ein, alle anderen hätten es ebenfalls vergessen. Nicht dass es Hanish so nicht lieber gewesen wäre. Es wäre besser, wenn sein Erscheinen sie bis ins Mark erschütterte, sie taumeln und verzweifelt nach einem Sinn suchen ließ und sie zu spät die wahre Beschaffenheit der Welt erkannten, über die sie herrschten.
Als sie das flache und baumlose Binnendelta erreichten, kamen sie leichter voran. Im Sommer war das Delta ein riesiges, mit Seen gesprenkeltes Sumpfland, das erste Auffangbecken der Massen von Schmelzwasser, die sich im Frühjahr aus dem Norden ergossen. Zumindest für eine Weile war der Transport einfacher. Am vierten Tag auf dem Eis brach jedoch eines der Schiffe ein. Es versank mehrere Fuß tief, türmte ringsumher schräg geneigte Eisschollen auf und sprengte einen sich dem Bug voranschlängelnden Riss in die Oberfläche, der ein Dutzend Ochsen zur Hälfte verschluckte sowie einen Mann, der das Pech gehabt hatte, die Tiere gerade mit der Peitsche anzutreiben. Der Treiber wurde aus dem eisigen Wasser gezogen und in Felle gehüllt, und als man die Zugleinen durchtrennte, gelang es mehreren Ochsen, aus eigener Kraft aufs Eis zu klettern, doch um das verunglückte Schiff herum bildete sich neues Eis. Es blieb in jener Nacht im Eis stecken, und der Rumpf splitterte und barst. Hätten sie genug Zeit und das nötige Material gehabt, hätten sie es instand setzen können, doch es mangelte ihnen an beidem. Hanish befahl, die Ladung von Bord zu schaffen, alles Brauchbare mitzunehmen und das Schiff ohne weitere Umstände zurückzulassen.
Dieser Zwischenfall war der Vorbote dessen, was noch kommen sollte. Der nächste Teil der Reise war in vielerlei Hinsicht der gefährlichste. Sie tasteten sich über das trügerische Eis, spürten das Pulsieren des Auftauens bei Tag und des Gefrierens bei Nacht und die Fallen, die beides für sie bereithielt. Hanish ließ Kundschafter vorausmarschieren, die die Oberfläche mit langen Eisenstangen prüften, wobei sie sich vom Geräusch, vom Gefühl des Eises und ihrem Instinkt leiten ließen. Einige Male schritt er weit vor der Streitmacht dahin, tastete sich voran, musterte den fernen Horizont. Er wusste nicht genau, weshalb er das tat. Es kam ihm einfach richtig vor. Es hatte etwas Tröstliches, die Eiswüste zu betrachten und sich einen Moment lang vorzustellen, dass er ganz allein sei, dass dieses Unternehmen mit ihm, seiner Stärke oder Schwäche, begann und endete. Natürlich dauerte es nie lange, bis er die Kundschafter hörte, die das Eis mit ihren Stangen prüften, wie eigentümliche Hirten, die den Boden vor ihren Schützlingen abklopften, anstatt ihnen zu folgen. Er war nicht allein, ein Gedanke, der jedes Mal gleichzeitig Enttäuschung und Beruhigung war.
Als sie den Rand des Eises erreichten, wurde alles anders. Es geschah schneller, als Hanish erwartet hatte. Vor ihnen lag eine offene schwarze Wasserrinne. Sie wurde zu einer bläulich braunen brodelnde Masse, ein Abfluss des schmelzenden Sees, auf dem sie dahingezogen waren, und strömte davon, um weiter im Süden zum Fluss Ask zu werden. Stück um Stück brachen Schollen vom Eisrand ab. Die Armee verbrachte den Vormittag in emsiger Betriebsamkeit, in dem Bemühen, aus der Reise auf dem Eis eine auf dem Wasser zu machen.
Kaum waren Männer, Pferde und Vorräte auf das erste Schiff verladen,
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