Accelerando
vorwärts kommt oder scheitert.
Aber was kann er unternehmen?
Früher Nachmittag.
Während Manfred auf einer Bank liegt und zu Brücken
hinaufstarrt, hat sein Plan so weit Gestalt angenommen, dass er
einige neue Patente anmeldet, einen Tagebucheintrag macht und
verschiedene Punkte der ständig hereinströmenden slashdot- Mitteilungenauf seine allgemein zugängliche
Website stellt. Teile seines Blogs im Netz leitet er an private
Abonnenten weiter – an die Menschen, Firmen, Gemeinschaften und
Bots, die er gegenwärtig favorisiert. Mit dem Boot gleitet er
durch ein verwirrendes Netz von Grachten, danach sorgt er dafür,
dass sein GPS ihn zurück zum Rotlichtbezirk lenkt. Dort gibt es
nämlich ein Geschäft, das auf Pams Geschmacksskala
höchste Punktzahlen erreichen würde. Er hofft, dass sie es
nicht als dreist empfindet, wenn er in dem Laden ein Geschenk
für sie besorgt (und dafür tatsächlich mit Bargeld
bezahlt. Nicht, dass Geld derzeit ein Problem für ihn darstellt,
er gibt ja kaum etwas aus).
Allerdings wollen die Leute bei DeMask gar kein Geld von
ihm annehmen. Per Handschlag besiegeln sie die Rückzahlung alter
Schulden: Manfred hat ihnen vor vielen Jahren und auf einem anderen
Kontinent einen Gefallen getan, indem er als Gutachter in einem
Prozess – es ging um die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und
Pornografie – zu ihren Gunsten ausgesagt hat. Also verlässt
er den Laden mit einer diskret verpackten Schachtel, die Pam fast
legal nach Massachusetts einführen kann. Sie muss nur, ohne mit
der Wimper zu zucken, behaupten, es handle sich um Unterwäsche
für ihre unter Inkontinenz leidende Großtante.
Während seines Spaziergangs erhält er Nachricht über
die Patentanmeldungen, die er mittags getätigt hat: Zwei Patente
sind anerkannt. Sofort lässt er sie registrieren und leitet den
Rechtstitel daran an die Free Infrastructure Foundation weiter. Wieder einmal hat er zwei Ideen davor bewahrt,
eingekästelt und monopolisiert zu werden, hat sie freigesetzt,
damit sie sich wie verrückt im Meer der Meme verbreiten
können.
Auf dem Rückweg zum Hotel kommt er bei De Wildemanns vorbei und beschließt, kurz hineinzugehen. Das
Durcheinander von Funkfrequenzen an der Bar sorgt für
ohrenbetäubenden Lärm. Er bestellt ein rauchiges
Doppelbockbier und berührt die Kupferrohre, um vCards
aufzuspüren. Weiter hinten im Raum steht ein Tisch, an
dem…
Fast in Trance geht er hinüber und nimmt gegenüber von
Pamela Platz. Sie hat ihr Make-up entfernt und sich umgezogen. Jetzt
trägt sie Kleidung, die ihren Körper nicht betont, sondern
verhüllt: Hosen im Tarnmuster, ein Sweatshirt mit Kapuze,
Doc-Martens-Schuhe. Westliche Purdah-Kleidung, die dieselbe Funktion
wie der Schador erfüllt und die Sexualität radikal
unterdrückt. »Manny?«, fragt sie, als sie das
Päckchen entdeckt.
»Woher wusstest du, dass ich hierher kommen würde?«
Ihr Glas ist schon halb leer.
»Ich hab dein Weblog verfolgt – bin doch der
größte Fan deines Tagebuchs. Ist das für mich? Das
hättest du doch nicht tun sollen!« Ihre Augen beginnen zu
strahlen; offenbar ist sie wieder mal dabei zu berechnen, welche
Punktzahl seine Zeugungsfähigkeit nach den mysteriösen
Spielregeln aus der Zeit der Jahrhundertwende erreichen würde.
Vielleicht freut sie sich auch nur, ihn zu sehen.
»Ja, das ist für dich.« Er schiebt ihr das
Päckchen hinüber. »Ich weiß, ich hätte es
lassen sollen, aber du bringst mich nun mal auf solche Ideen. –
Eine Frage, Pam.«
»Ich…« Sie sieht sich hastig um. »Kein Risiko,
ich bin nicht im Dienst und, soweit ich weiß, auch nicht
verwanzt. Weißt du, es kursieren bestimmte Gerüchte
über diese Dienstmarken. Dass sie zur Sicherheit weiter
aufzeichnen, selbst wenn man sie ausgeschaltet hat und gar nicht
damit rechnet.«
»Das wusste ich nicht.« Er speichert die Information
für künftige Verwendungen ab. »Ist das so eine Art
Loyalitätstest?«
»Es sind nur Gerüchte. Du wolltest etwas
fragen?«
»Ich…« Jetzt ist er mit Enthüllungen dran.
»Hast du eigentlich noch an Interesse an mir?«
Einen Moment lang wirkt sie schockiert, dann kichert sie.
»Manny, du bist der grässlichste Freak, den ich je
getroffen habe! Genau dann, wenn ich mir mit Erfolg einrede, dass du
ein Wahnsinniger bist, zeigst du überaus seltsame Anzeichen von
geistiger Normalität.« Sie greift nach seinem Handgelenk
und verblüfft ihn damit, dass ihre Haut seine berührt, was
wie ein Elektroschock auf ihn wirkt.
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