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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
vierblättriger Kleeblätter von künstlich
eingeschwärzten Kiefernbalken baumeln und ihr trübes Licht
über klobige Holztische ergießen. Mit anderen Worten:
Während es hier früher echt abging, ist die Kneipe
inzwischen so tot wie ein ausgebrannter Schwarzer Zwerg. Um den
zahlungskräftigen Stammgästen oben mehr Platz zu bieten,
hat man die Toilette irgendwann in den unteren Bierkeller verlegt,
und mittlerweile ist das, was hier als Zapfbier verkauft wird, ein
schäumendes, mit Leitungswasser verdünntes Konzentrat.
    »Sag mal, hast du schon den Witz von der Eurokratin mit der
Robot-Muschi gehört, die in eine Spelunke am Cowgate geht und
eine Coke bestellt? Als man ihr die Coke serviert, fragt sie:
›He, wo ist denn der Spiegel für die
Linien?‹«
    »’alt die Klappe«, zischt Annette in die
Schultertasche. »Das ist über’aupt nicht witzig.«
Ihr persönliches Warnsystem hat gerade eine E-Mail an ihr
Telefon in der Armbanduhr übermittelt. Dessen Display zeigt
jetzt ein rotierendes gelbes Ausrufungszeichen. Und das bedeutet,
dass dieser Ort, wenn man den amtlichen Verbrechensstatistiken
glauben darf, als keineswegs sicher gilt und ihren Versicherungsbonus
ernsthaft gefährden kann.
    Aineko blickt von ihrem Nest in der Tasche zu Annette auf,
gähnt herzhaft und entblößt dabei das geriffelte
rosafarbene Maul und die rosafarbene Zunge, die aussieht wie
Wildleder. »Willst du mich anmachen? Hab gerade Mannys Kopf
angepingt. Die Antwortzeit im Netzwerk war kaum der Rede
wert.«
    Die Bedienung schlängelt sich heran und schafft es, glatt an
Annette vorbeizusehen. »Ich möchte eine Diet Coke«,
sagt Annette.
    Aus der Tasche meldet sich eine leise Stimme: »Kennst du den
von der Eurokratin, die in eine Spelunke geht und einen halben Liter
Diet Coke bestellt? Die Coke kommt, aber sie verschüttet sie
versehentlich, sodass ihre Schultertasche klitschnass wird. Und sie
sagt: ›Ups, jetzt habe ich eine feuchte Muschi.‹«
    Als die Diet Coke serviert wird, zahlt Annette sofort. Es
mögen ein paar Dutzend Leute im Pub sein; man kann es nur schwer
sagen, weil die Kneipe wie ein uralter Keller jede Menge steinerne
Torbögen hat, die zu Nischen führen. Das Inventar besteht
aus ausgemusterten Kirchenbänken und verkratzten Holztischen, in
deren Platten sich Gäste verewigt haben. An einem der Tische
hocken Männer, die Radfahrer auf einem Zwischenstopp, Studenten
oder gut gekleidete Saufbrüder sein mögen – stark
behaarte Kerle, die Westen mit allzu vielen Taschen tragen und so
bewusst einen auf Boheme machen, dass Annette ungläubig
zwinkert. Bis eines ihrer literarischen Programme sie darüber
informiert, dass einer dieser Typen ein einheimischer Autor von
bescheidenem Ruhm ist, ein kleiner Guru der Space and Freedom- Partei.
    In einer Ecke brüten zwei Frauen, die Stiefel und Pelzkappen
tragen, über der Speisekarte, in einer anderen Nische haben sich
mehrere Straßenkünstler außer Dienst zu einem Bier
zusammengefunden. Außer Annette hat niemand etwas an, das auch
nur entfernt an Bürokleidung erinnert. Insgesamt wirken diese
Menschen so bizarr, dass Annette eine besonders dunkle Tönung
für ihre Brille wählt, die Krawatte glatt streicht und sich
wachsam umsieht.
    Als gleich darauf die Tür aufgeht, kommt ein schwer
einzuordnender Junge herein. Er trägt eine ausgebeulte
Militärhose, eine Wollmütze und Stiefel, die bis ins letzte
Detail – von den eisernen Schutzkappen bis zu den
olivgrünen Armeestreifen – nach Panzerdivision aussehen.
Außerdem hat er…
    »Mit meinem kleinen Netzdetektiv hab ich was
ausspioniert«, meldet sich die Katze, während Annette ihr
Getränk abstellt und auf den Jungen zugeht. »Der erste
Buchstabe ist…«
    »Wie viel willst du für die Brille, Junge?«, fragt
Annette leise.
    Er fährt so zusammen, dass er geradezu hochschnellt, was in
diesen MilSpec-Kampfstiefeln keine gute Idee ist: Schließlich
stammt die Steindecke aus dem achtzehnten Jahrhundert und ist einen
halben Meter dick. »Hab’s nich gesehen, verdammt«,
jammert er auf eine Weise, die ihr unheimlich bekannt vorkommt.
»Äh…« Er schluckt. »Annie!
Wer…«
    »Reg dich nicht auf und setz die Brille ab. Ist nicht gut
für deine Gesundheit, wenn du sie weiter trägst.«
Annette achtet darauf, sich nicht allzu schnell zu bewegen, denn
inzwischen empfindet sie eine neue Art von Angst, eine Angst, die sie
einschüchtert und zappelig macht. Ohne hinzusehen, weiß
sie, dass das Aufrufungszeichen auf ihrer

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