Accelerando
nicht
denkender Materie wird zum Affront; bizarre Ideen flackern wie die
Blitze eines weit entfernten Sommergewitters über den
weitläufigen Ebenen seiner Fantasie auf. Aber da sein Metacortex
derzeit zur Sicherheit im Modus für risikobehaftete Dateien in
einer Sandbox läuft, fühlt Manfred sich nicht nur benommen
und denkfaul, sondern sogar überflüssig. Und dieses
Gefühl ist etwa so angenehm wie ein Heroinentzug. Er ist nicht
in der Lage, Agenten loszuschicken, die auskundschaften könnten,
was von seinen Plänen realisierbar ist, um ihm
anschließend Bericht zu erstatten. Es kommt ihm so vor, als
hätte ihm jemand fünfzig Punkte des IQ genommen. Sein
Gehirn ist wie ein Skalpell, nachdem man es zum Fällen von
Bäumen hergenommen hat. Es ist furchtbar, in einem zerfallenden
Verstand gefangen zu sein. Manfred will ausbrechen, nichts lieber als
das – aber er hat zu viel Angst, um dem Drang nachzugeben.
»Gianni ist ein zentristischer Eurosozialist, ein
pragmatischer Politiker, der für eine gemischte Wirtschaftsform
eintritt«, hält Bobs Geist Manfred vor, indem er Monicas
rot geschminkte Lippen als Sprachrohr benutzt. »Sie erwarten von
mir doch wohl kaum, einen solchen Mann zu wählen, oder? Was also
kann ich Giannis Ansicht nach für ihn tun?«
»Das ist… äh…« Manfred wippt mit dem
Sessel vor und zurück. Seine Körperhaltung ist defensiv:
Die Arme hat er fest vor der Brust verschränkt, die Hände
in die Achselhöhlen geschoben. »Den Mond zerlegen! Die
Biosphäre digitalisieren! Daraus eine von Intelligenz beseelte
Sphäre machen! Scheiße, tut mir Leid, das ist die
langfristige Perspektive. Man kann Dyson-Sphären schaffen, jede Menge… ähm… Gianni war früher
Marxist, zählte zur reformierten Hochkirche des trotzkistischen
Zweigs. Er glaubt an den wahren Kommunismus – philosophisch
gesehen ein Zustand der Gnade, der gewisse Dinge voraussetzt. Zum
Beispiel, dass man nicht mit Molotow-Cocktails um sich wirft oder
eine Gedankenpolizei einsetzt. Gianni möchte alle Leute so reich
machen, dass sich das Gezänk darüber, wer die
Produktionsmittel besitzen soll, ein für alle Mal erübrigt.
Oder ähnlich belanglos wird wie ein Streit von
Höhlenbewohnern darüber, wer hinten im Feuchten schlafen
soll. Ich will damit sagen, dass Gianni nicht Ihr Gegner ist. Er ist
der Gegner dieser stalinistischen Querköpfe, dieser emsigen
Lakaien im Zentralbüro der Konservativen Partei, die einem das
Schlafzimmer verwanzen wollen und den großen Konzernen, die den
Pensionskassen gehören, alles auf dem Silbertablett servieren.
Natürlich verlassen sich die Pensionskassen ihrerseits darauf,
dass die Menschen in absehbarer Zeit sterben, denn nur so können
sie ihren eigentlichen Daseinszweck erfüllen. Und, äh, noch
wichtiger ist, dass die Menschen, wenn sie sterben, nicht etwa
versuchen, an ihrem Besitz und der beweglichen Habe festzuhalten.
Sich womöglich im Sarg aufsetzen, um extroprianische
Lagerfeuerlieder anzustimmen oder Ähnliches. Schuld an allem
sind die Versicherungsmathematiker, die bestimmte Lebenserwartungen
voraussagen, damit die Menschen Versicherungspolicen kaufen. Und zwar
mit Geld, das von den Kassen dafür investiert wird, die
Produktionsmittel zu kontrollieren. Und all das geht letztendlich auf
das Wahrscheinlichkeitstheorem des alten Thomas Bayes
zurück…«
Alan wirft einen Blick über die Schulter und mustert Manfred.
»Ich glaube, es war keine gute Idee, ihm Guarana zu geben«,
bemerkt er im Ton böser Vorahnung.
Inzwischen wippt Manfred nicht nur vor und zurück, sondern
vollführt auch kleine Sprünge – wie ein technophiler
Yogi-Flieger, dessen Körper abheben will, um sich den Weg zur
Singularität zu bahnen. Monica beugt sich zu ihm vor und
reißt die Augen weit auf: »Manfred«, zischt sie,
»halten Sie den Mund!«
Abrupt und mit äußerst verwirrter Miene hält
Manfred in seinem Wortschwall inne. »Wer bin ich?«, fragt
er und kippt nach hinten. »Warum befinde ich mich hier und jetzt
in diesem Körper?«
»Anthropische Angstattacke«, bemerkt Monica. »Ich
glaube, die hatte er auch vor acht Jahren in Amsterdam, als Bob ihm
zum ersten Mal begegnet ist.« Sie wirkt alarmiert, eine andere
Identität hat sich in den Vordergrund gedrängt. »Was
sollen wir tun?«
»Wir müssen dafür sorgen, dass er es bequem hat.
– Bett, mach dich sofort bereit«, sagt Alan laut. Die
Rückenlehne des Liegesessels, auf dem Manfred sich ausgestreckt
hat, klappt nach hinten, während sich
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