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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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viel
unangenehmer: Offenbar schafft er es nicht mehr, eine Idee ohne
zeitlichen Verzug aus allen möglichen Perspektiven zu
betrachten. Hat das Bewusstsein früher so gearbeitet?, fragt er sich. Derart langsam zu denken ist ein grässliches
Gefühl.
    Monica wendet sich von ihm ab. »Nach Auskunft der Diagnostik
werden Sie bald wieder auf dem Damm sein. Das Hauptproblem ist der
Identitätsverlust. Haben Sie irgendwo ein Backup?«
    »Hier.« Allan, der immer noch einen Zylinder und
Koteletten trägt, reicht Manfred eine Brille. »Nehmen Sie
die, vielleicht hilft Sie Ihnen ein bisschen.« Sein Zylinder
wackelt, als niste unter dem Hutrand ein seltsames
K.I.-Experiment.
    »Oh, ich danke Ihnen.« Mit dem Gefühl hilfloser
Dankbarkeit greift Manfred nach der Brille. Kaum hat er sie
aufgesetzt, nimmt sie eine Reihe von Tests vor, flüstert ihm
Fragen zu und beobachtet, wie seine Augen fokussieren. Nach einer
Minute kann er den Raum ringsum deutlicher erkennen, denn die Brille
hat ein synthetisches Abbild davon geschaffen, um seine
Kurzsichtigkeit auszugleichen. Mit dem angenehmen Gefühl von
Erleichterung stellt er fest, dass er auch über begrenzten
Zugang zum Netz verfügt. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn
ich jemanden kontaktiere?«, fragt er. »Ich möchte
meine Backups überprüfen.«
    »Machen Sie das ruhig.« Alan schlüpft durch die
Tür, während Monica Manfred gegenüber Platz nimmt und
in irgendeinen inneren Raum starrt. Das Zimmer hat eine hohe Decke,
weiß getünchte Wände und Holzläden vor den
Fenstern aus Aerogel. Das Mobiliar besteht aus modernen Wohnmodulen,
die überhaupt nicht zu der Originalarchitektur aus dem
neunzehnten Jahrhundert passen. »Wir haben Sie
erwartet.«
    »Sie waren…« Er zwingt sich dazu, ein anderes Thema
anzuschneiden. »Ich bin hierher gekommen, um mich mit jemandem
zu treffen. Hier in Schottland, meine ich.«
    »Mit uns.« Bewusst sucht sie seinen Blick. »Um mit
unserem Gönner Möglichkeiten zum Einsatz von Intelligenzen
zu erörtern.«
    »Mit Ihrem…« Er kneift die Augen zu. » Verdammt! Ich erinnere mich nicht daran. Ich muss meine
Brille wieder haben, bitte!«
    »Was ist mit Ihren Backups?«, fragt sie neugierig.
    »Einen Augenblick.« Manfred versucht sich ins
Gedächtnis zu rufen, welche Adresse er kontaktieren muss, aber
es hat keinen Zweck und ist furchtbar frustrierend für ihn.
»Es würde schon helfen, wenn ich mich daran erinnern
könnte, wo ich den Rest meines Verstandes aufbewahre«,
jammert er. »Früher war das… oh, da kommt ja
was.«
    Gleich nachdem er die Website angefordert hat, lädt die
Brille ein umfassendes semantisches Netzwerk herunter, sodass sich
seine Umgebung in schwarz-weiße Pixel auflöst, die sich
ruckartig bewegen und ihm die Sicht nehmen, als er sich umschaut.
»Das wird einige Zeit dauern«, warnt er seine Gastgeber,
während ein großer Teil seines Metacortex versucht,
unmittelbar mit seinem Gehirn zu kommunizieren. Und zwar über
eine drahtlose Netzverbindung, die eigentlich nur zum Browsen gedacht
ist. Was er herunterlädt, ist der Teil seines Bewusstseins, der
nicht unbedingt der Geheimhaltung unterliegt. Es sind öffentlich
zugängliche Agenten und leicht schulmeisterliche Ansichten, die
er geäußert hat. Aber die Semantik ist eine Festung in
diesem Chaos, erhellt ein riesiges Gebäude der Erinnerung, wirft
die Umrisse einer Karte erstaunlicher Phänomene und Wunder an
die weiß getünchten Zimmerwände.
    Als Manfred die Außenwelt wieder wahrnehmen kann, fühlt
er sich ein bisschen mehr wie er selbst. Zumindest kann er jetzt eine
Suche starten, die ihm Ergebnisse mitteilen und ihn damit wieder auf
den neuesten Stand bringen wird. Nach wie vor hat er keinen Zugang zu
den innersten Geheimnissen seiner Seele (einschließlich sehr
privater Erinnerungen). Sie sind bis zur biometrischen
Bestätigung seiner Identität und dem Austausch eines
Quantenschlüssels verriegelt und versiegelt. Aber seine
geistigen Fähigkeiten melden sich zurück – und manche
funktionieren sogar. Es ist so, als hätte er eine seltsame neue
Droge ausprobiert, deren Wirkung jetzt verfliegt; er hat das
unendlich beruhigende Gefühl, wieder vom eigenen Kopf gelenkt zu
werden. »Ich glaube, ich muss ein Verbrechen anzeigen«,
teilt er Monica (oder der Person, die derzeit in Monicas Kopf
eingestöpselt sein mag) mit.
    Jetzt weiß er, wo er sich befindet und mit wem er sich
treffen sollte (wenn auch nicht, warum). Und ihm ist auch wieder
klar, dass die Frage der

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