Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
getätigt haben soll, ziert auch die Wappen unserer unbarmherzigen Levitenleser. Aber was wäre die Richtung, die besser passte?
Den deutlichsten Aufschluss über die Hoffnungen der Endzeitverkünder gibt das Katastrophenkino à la The Day After Tomorrow : Geschiedene Väter, die es am Vortag der Katastrophe noch nicht einmal fertigbrachten, ihren Sohn pünktlich zum Flughafen zu fahren, marschieren zu Fuß durch die plötzlich hereingebrochene Eiszeit, um ebenjenen Sohn aus einem in Eis und Schnee versunkenen New York herauszuholen. Penner und Millionärssöhnchen, die sich eben noch feindlich fremd aus dem Weg gingen, teilen sich den letzten Pullover.
Wem dies zu trivial erscheint, der möge bei Heinrich von Kleist, in Das Erdbeben in Chili, nachlesen. Der düstere Dichter ergeht sich ebenfalls in Schilderungen des klassenlosen, von Nächstenliebe durchströmten Idylls im Windschatten der Katastrophe, auch seinen Protagonisten will es – wenigstens vorübergehend – so scheinen, »als ob das allgemeine Unglück alles, was ihm entronnen war, zu einer Familie gemacht hätte«.
Muss man so extreme Erfahrungen wie die Auschwitzüberlebende Ruth Klüger gemacht haben, um zu erkennen, dass die Vorstellung, besonders großes Leid würde besonders humanisierend wirken, ebenso rührseliger wie fataler Kitsch ist?
Die Menschheit wird sich von dem schlechten Gewissen, das sie plagt, seit Prometheus den Göttern das Feuer geklaut und Eva und Adam vom Baum der Erkenntnis gekostet haben, nicht befreien, indem sie alle fünf Minuten den nächsten Weltuntergang herbeifantasiert und dabei doch nur heimlich hofft, den Schleichweg zurück ins Paradies zu finden. Alle Wege dorthin sind verbaut. Und deshalb wird die Menschheit auch keine gerechteren Gesellschaften kreieren, indem sie an der Utopie festhält, Frieden herrsche erst dann, wenn alle Konflikte, Gegensätze und Widersprüchlichkeiten ausgemerzt, alle Zersplitterungen in einer großen Weltumarmung gekittet sind. Der Mensch ist aus krummem Holz gemacht. Jeder Versuch, aus ihm etwas gänzlich Gerades zu zimmern, hat bislang nur einen Ort erschaffen: Die Hölle auf Erden.
Ein Männlein steht im Walde
Thea Dorn wundert sich über den Mann, der endlich Opfer sein will.
Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm... Mein Großvater sang mir das Fallersleben-Liedchen vor, wenn er mich in meinem Buggy – damals noch »Sportwagen« genannt – durch die rheinland-pfälzische Natur schob. Sobald ich den Text zu begreifen begann, hielt ich Ausschau nach dem Männlein. Und war enttäuscht, es nie zu Gesicht zu bekommen. (Die Erklärung, dass in Wahrheit nur die Hagebutte gemeint sei, ließ ich nicht gelten.)
Gut fünfunddreißig Jahre später sehe ich das Männlein im Walde. Allerdings steht es dort nicht still und stumm, sondern pfeift nach Leibeskräften. Im Schatten der Emanzipation sind Männer zu Opfern geworden, heißt sein Liedchen.
In der ersten Strophe klagt es, dass Männer im Schnitt fünf bis sechs Jahre kürzer leben als Frauen. Um den Verdacht zu beseitigen, dies könne mit einer biologischen Disposition des Mannes zu tun haben, führt es eine so genannte »Klosterstudie« ins Feld, in der die Daten von fast 12 000 Nonnen und Mönchen aus deutschen Klöstern gesammelt sind. Und siehe da: Nonnen haben keine nennenswert höhere Lebenserwartung als ihre Geschlechtsgenossinnen jenseits der Klostermauern. Mönche werden jedoch fast so alt wie Nonnen und damit Jahre älter als ihre Brüder im weltlichen Trubel. Was aber sagt uns das? Dass es bei Frauen nicht lebensverkürzend wirkt, wenn sie sich der Fleischeslust hingeben, Männer hingegen bei jedem Beischlaf ein Blatt von ihrem Lebenskalender abreißen müssen? So gesehen sollten sich die Kurzlebigeren bei jenen Feministinnen bedanken, die in den 70er Jahren den (heterosexuellen) Geschlechtsverkehr zur feindlichen Leibesübung erklärten.
Ein Demografieprofessor, der die »Klosterstudie« kommentiert, merkt an, dass überall auf der Welt Männer deutlich kürzer leben als Frauen. Darf man daraus wiederum schließen, dass die niedrigere Lebenserwartung afghanischer Männer im Vergleich zu afghanischen Frauen ihre Hauptursache darin hat, dass auch jene im Schatten der Emanzenblüte zu Opfern geworden sind?
Die Lieblingsfeinde des Männleins heißen »Gleichstellungsgesetz« und »Gender Mainstreaming«. Im Refrain klagt es so herzzerreißend, dass man meinen könnte, es stünde mit einem Bein bereits
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