Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Titel: Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
Vom Netzwerk:
essen. Diese Finanzkrise ist bei Weitem noch nicht vorbei. Wir sind nur am Ende des Anfangs. Bitte lassen Sie sich Ihr Steak einpacken und gehen Sie nach Hause.‹« Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete. Und anstatt zu fragen, ob es nicht atemberaubend unverantwortlich ist, wenn ein einflussreicher Wirtschaftsfeuilletonist den apokalyptischen Harlekin gibt, sinniert der Herausgeber Frank Schirrmacher über »die Evolution einer Krise, deren Dramatik buchstäblich mit jeder Woche neue rhetorische Maßnahmen verlangt«. Ein herzloser Tropf, wer im Angesicht der Krise als Erstes an politische und ökonomische Maßnahmen denkt.
    Nun ist der Schwanengesang, das hohe Lied vom baldigen Ende der Menschheit, beileibe keine Erfindung unserer Tage. Die Bibel ist gerade mal sieben Kapitel alt, schon schickt der Herr die Sintflut, auch im Gilgamesch Epos bestellen die Götter den großen Regen, während die Edda eher auf den Weltenbrand setzt. Die Menschen des Mittelalters waren alle Naslang sicher, von einem Kometen oder der Pest kollektiv ausgelöscht zu werden. Auch das 20. Jahrhundert begann – noch vor der realen Katastrophe des Ersten Weltkriegs – mit der fiebrigen Erwartung des Halleyschen Kometen. Kaum hatte man den nationalsozialistischen Terror hinter sich gelassen, erhitzte die Angst vor dem Atomtod die Gemüter bis an den Rand der Kernschmelze. In den 70ern entdeckte der Club of Rome die Ökologie als weites Feld für Untergänge. Und die 80er bescherten uns die spezifisch deutsche Spielart dieser Angst: Das Waldsterben.
    Es ist also nichts Neues, wenn in unseren Tagen wahlweise die Vogelgrippe, der Millenium Bug, die demografische Entwicklung, die Erderwärmung oder aktuell die Wirtschaftskrise als Reiter der Apokalypse besungen werden. Das Geschäft mit der Angst dürfte das in Wahrheit älteste Gewerbe der Welt sein. Neu ist allerdings, dass sich die Apokalypsen in immer rasanterem Wechsel ablösen. So wie Starbucks uns jeden Monat mit einem anderen »Coffee Highlight« bei Laune hält, kredenzen uns die Massenmedien mittlerweile den Untergang des Monats. Nicht die »Evolution der Krise« verlangt jede Woche nach »neuen rhetorischen Maßnahmen«. Presseorgane tun es, bei denen der Lautstärkeregler offensichtlich nur in eine Richtung zu drehen ist.
    »Es gibt Leute, die sich über den Weltuntergang trösten würden, wenn sie ihn nur vorhergesagt hätten«, notiert Friedrich Hebbel 1845 in seinem Tagebuch. Und Friedrich Sieburg schreibt gut hundert Jahre später: »Ein wesentlicher Reiz unserer Zivilisation besteht in der Reichhaltigkeit der Palette, mit der wir die Menschheit malen, wie sie dem Grabe zuwankt. Man muss auch eine Sache, von der man nichts weiß, zu Ende denken können.«
    Doch Sieburg spottet nicht nur, er bietet auch eine Erklärung an für »die Lust am Untergang«, die er als Lebensgefühl selbst in der aufstrebenden Wirtschaftswunder-Bundesrepublik allenthalben diagnostiziert: »Der Alltag der Demokratie mit seinen tristen Problemen ist langweilig, aber die bevorstehenden Katastrophen sind hochinteressant... Wenn wir schon mit unserem Dasein nichts Rechtes mehr anzufangen wissen, dann wollen wir wenigstens am Ende einer weltgeschichtlichen Periode stehen. Richtig zu leben ist schwer, aber zum Untergang reicht es allemal.«
    Spricht also tatsächlich der freudsche Todestrieb aus uns, »das wunderbare Sehnen dem Abgrund zu«, wie Hölderlin es nannte? Auf den ersten Blick erscheint die Annahme absurd. Denn unsere Endzeitverkünder sind weit davon entfernt, wie Wotan in Richard Wagners Der Ring des Nibelungen zu donnern: »Nur Eines will ich noch, das Ende! Das Ende!«
    In einem Punkt sind sich Wotan und die heutigen Apokalyptiker jedoch frappierend einig: Die Welt hat sich in eine grundverkehrte Richtung entwickelt und hätte es dafür verdient unterzugehen. Wie der Wagnergott sein gesamtes zivilisatorisches Werk als »herrische Pracht, göttlichen Prunkes prahlende Schmach« verflucht, geißeln auch unsere zürnenden Zeitgenossen den way of life, entlarven das fundamental Verheerende an unseren individualistisch-kapitalistischen Gesellschaften. Zweifel und moderate Töne sind ausgeschlossen.
    In seinem Bestseller Minimum . Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft , prophezeit Frank Schirrmacher 2006: »Wir glaubten bisher, unser Spiel mit Elementargewalten beschränke sich auf die technisch-wissenschaftliche Welt... Aber auch die Familie und die verwandtschaftlichen

Weitere Kostenlose Bücher