Ach waer ich nur zu Hause geblieben
würdedie Kinder dort sogar sehr glücklich machen, wenn ich käme und ihnen ein paar von den Kugelschreibern schenken würde, die Insa für die Mitglieder der Reisegruppe im Großhandel besorgt hat, zu umgerechnet zwei Cent das Stück. Auch über alte T-Shirts würden sie sich dort sehr freuen.
»Und am allermeisten freuen sie sich über ein Lächeln«, behauptet Insa.
Genau genommen ist ihre vierzehntägige Indienreise somit gar keine Vergnügungsreise, sondern ein einziger Akt der Nächstenliebe und Entwicklungshilfe. Dank der Kugelschreiber werden die Kinder keine Analphabeten, die alten T-Shirts schützen sie in rauen Winternächten, das Lächeln wärmt ein Leben lang ihre Herzen. Eine Benefizreise also, bei der man nebenher auch noch das Tadsch Mahal besichtigen und günstig gefakte Prada-Handtaschen einkaufen kann.
Indien ist ein wunderschönes, kulturell hochinteressantes Land, und eigentlich würde es mich schon sehr reizen, es einmal zu besuchen. Ich fürchte mich aber auch vor heiligen Kühen, abgemagert bis auf das Skelett, die vor dem Bus auf der Suche nach einem Schluck Wasser herumtorkeln, und vor kranken Menschen am Straßenrand, obwohl Insa versichert, dass man auch diese Unglücklichen mit ein paar Kugelschreibern und alten T-Shirts glücklich machen könne.
Vor meinem geistigen Auge sehe ich die Kühe eins von Insas fliederfarbenen T-Shirts fressen und muss weinen.
»In Indien hat Glück ohnehin eine ganz andere Bedeutung«, sagt Insa. »Wir Abendländer können von den Indernso viel lernen. Man wird dort ein ganz anderer Mensch, quasi wiedergeboren durch die Konfrontation mit einer anderen Kultur und Denkweise. Verwöhnt, oberflächlich und mit engem Horizont fährt man hin, und erleuchtet kehrt man nach Hause zurück.«
Erleuchtung – das hört sich allerdings wunderbar an. Was habe ich nicht schon alles auf mich genommen, um mein Bewusstsein zu erweitern, und jetzt serviert Insa mir die Erleuchtung quasi auf dem Tablett für nur eintausendsechshundertfünfzig Euro.
Fast hat sie mich soweit, über meinen Schatten zu springen. Aber dann fällt mir glücklicherweise wieder ein, was ich noch mehr fürchte als den Anblick abgemagerter Kinder: den langen Flug mit Zwischenlandung in Kopenhagen – warum eigentlich Kopenhagen? Das liegt nicht mal auf der Strecke! – und vierzehn Tage im Reisebus neben einer Erleuchteten zu sitzen, die nach Trésor riecht, eine Tüte mit Kugelschreibern zu zwei Cent das Stück an die Brust gedrückt.
Nein, danke, da bleibe ich doch lieber weiter unerleuchtet. Ich denke aber, ich könnte Insa zwanzig Euro spenden, damit könnte sie einhundert Inder, Kinder und Rinder mit Kugelschreibern glücklich machen. Und vielleicht ist sie so nett und bringt mir eine gefakte Prada-Tasche mit.
Biellaphobie
oder die Angst vor unbekannten Italienisch-Vokabeln
In Mathe bin ich eine Niete, aber für Sprachen habe ich eine echte Begabung«, sagt Gina. »Ich muss eine Sprache nur hören, schon kann ich sie sprechen. Und wenn ich ein paar Wochen in einem Land bin, kann man mich von einem Einheimischen kaum noch unterscheiden.«
Ich bin unheimlich beeindruckt. Und neidisch.
»Französisch, Italienisch, Spanisch, Niederländisch und Englisch, natürlich«, listet Gina auf. »Und Türkisch und Kroatisch, aber nicht ganz so gut.«
Da wir in Italien sind, macht das nichts. Ich bin zwar neidisch, aber auch sehr froh, dass wir Gina dabei haben, denn ich kann kein Italienisch. Und Vivi besucht zwar seit einem Jahr einen Italienisch-Kurs, traut sich aber nie so recht zu sprechen. Im entscheidenden Moment fehlen ihr immer die Vokabeln.
»Kann man, äh … lasciare … ähem … das Auto … qui?«, fragt sie einen Passanten und wird dabei feuerrot. Wir sind uns nicht sicher, ob wir den Mietwagen direkt an der Stadtmauer parken dürfen, es gibt nämlich kein Schild, das das erlaubt. Allerdings auch kein Schild, das es verbietet.
Der Mann versteht Vivi nicht, lächelt uns aber sehr nett an. Nirgendwo lächeln die Männer netter als in Italien.
»Mist«, sagt Vivi. »Was heißt denn noch mal Stadtmauer ?«
Ich zeige auf das Auto, mache ein fragendes Gesicht, schreibe dann einen imaginären Strafzettel aus und zeige wieder auf das Auto. Das findet der Mann lustig, aber leider versteht er nicht, was ich ihn damit fragen will.
Jetzt mischt sich Gina ein, die sich bis dahin noch im Außenspiegel frisiert, die Lippen nachgezogen und großzügig mit Trésor besprüht hat.
»Autovettura
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