Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut
folgt:
A-dorf
B-burg
1 2 3
4 5 6 7 8 9 10
Mittelwert 2
Mittelwert 7
Die Einwohner von B-burg mit den Einkommen 4000 und 5000 Euro siedeln nun nach A-dorf um. Die Zusammensetzung der Gemeinden ist dann wie folgt:
A-dorf
B-burg
1 2 3 4 5
6 7 8 9 10
Mittelwert 3
Mittelwert 8
In beiden Gemeinden ist der Mittelwert gestiegen, von 2 auf 3 und von 7 auf 8 Tausend Euro. Etwas später siedeln auch noch die Einwohner von B-burg mit den Einkommen 6000 und 7000 Euro nach A-dorf um. Dann haben wir:
A-dorf
B-burg
1 2 3 4 5 6 7
8 9 10
Mittelwert 4
Mittelwert 9
Abermals sehen wir denselben Effekt. Erkennbar führen die beiden Umsiedlungen zu einer Vergrößerung des mittleren Einkommens, und zwar beide Male in beiden Gemeinden.
Man kann erahnen, dass der Will-Rogers-Effekt erstaunliche Anwendungen auch in anderen Situationen hat. Wir untersuchen hier eine ausgesprochen wichtige Auswirkung auf den Ausgang von Wahlen aufgrund von maßgeschneiderten Anpassungen der Wahlkreisgeometrie. Das ist die hohe Kunst des Zurecht-schneidens der Wahlkreise durch eine Partei, die dies aufgrund ihrer Mehrheit durchsetzen kann, mit dem Ziel, den eigenen Kandidaten noch größere Wahlchancen zu verschaffen. So kann eine Partei theoretisch allein durch geschickte Wahlkreismodifikation in allen Bezirken ihren Stimmenanteil vergrößern, ohne zusätzliche Wählerstimmen zu erhalten oder sogar ohne dass es überhaupt Änderungen bei den Stimmen für alle beteiligten Parteien gibt. Auch damit werden wir uns befassen.
Das Will-Rogers-Phänomen hat wichtige Konsequenzen auch in den Wissenschaften, z.B. in der Medizin. Als bedeutsamermedizinischer Effekt ist es unter anderem in der Krebsforschung die Ursache mancher Fehlinterpretation.
In einer amerikanischen Studie wurden zwei Gruppen von Patienten, die an einem bösartigen Lungentumor litten, miteinander verglichen. In der jüngeren Erhebung aus den 1970er und 1980er Jahren hatten die Versuchsteilnehmer eine bessere Überlebensrate als die Probanden aus den 1950er und 1960er Jahren. Bei beiden Untersuchungen wurde dieselbe Stadieneinteilung der Tumore vorgenommen. Die scheinbare Prognoseverbesserung für die Kranken in der zweiten Studie war jedoch nicht das Ergebnis von verbesserten Therapien, sondern allein auf eine Verbesserung der diagnostischen Verfahren zurückzuführen, die inzwischen durch technischen Fortschritt zur Verfügung standen. Wie kann das sein? Wir geben dafür nun eine Plausibilitätserklärung.
Eine Verbesserung bei den bildgebenden Untersuchungsverfahren führte dazu, dass einige Patienten in der späteren Studie einem fortgeschritteneren Erkrankungsstadium zugeordnet wurden, als dies in der früheren Studie noch der Fall gewesen wäre. Diese Zuordnungsänderungen wirkten sich zum einen so aus, dass die Prognosen der Krankheitsverläufe in den weniger fortgeschrittenen Tumorstadien sich verbesserten, weil einige der Patienten mit der schlechteren Prognose in dieser Kategorie in die nächsthöhere Klasse übergewechselt waren. Zum anderen änderte sich auch die Prognose in weiter fortgeschrittenen Krankheitsstadien zum Besseren, und das ganz einfach deshalb, weil die von dem nächstmilderen Tumorstadium hochgestuften Patienten eine in der Regel bessere Prognose hatten als diejenigen Patienten, die dieser Kategorie aufgrund ihrer Tumorentwicklung leichter zugeordnet werden konnten.
Vereinfacht kann man es auch so verständlich machen: Die Tumore seien in kleine, große und noch größere eingeteilt, in verschiedene Klassen eben, je nach Stadium. Verbessern sich nun die bildgebenden Verfahren, werden von jedem Tumor mehr Teile entdeckt als zuvor, so dass Tumore, die aufgrund der früheren diagnostischen Möglichkeiten für klein gehalten wurden,nunmehr mit der neuen Technik als groß erkannt und entsprechend eingestuft werden. De facto geraten so die gefährlicheren Fälle aus der Gruppe der kleinen Tumore in die Gruppe der großen oder größeren Tumore, wo sie zu den weniger gravierenden Fällen gehören. Damit scheint sich für beide Gruppen gleichzeitig der Therapieerfolg zu verbessern, allein aufgrund von Zuordnungsverschiebungen, also ganz ohne therapeutische Verbesserungen. Mithin kann einzig und allein durch verbesserte Diagnostik aufgrund des Will-Rogers-Phänomens der fälschliche Eindruck einer verbesserten Therapie entstehen.
Um davon gebührend Notiz zu nehmen, wollen wir dies auch noch mit einem bequemen Rechenbeispiel belegen. Hypothetisch gehen wir von vier
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