Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut
Stadien aus, also von vier verschiedenen Schweregraden der Krebserkrankungen, die mit A, B, C, D bezeichnet seien, zunehmend von leicht bis gravierend schwer. Für jedes Stadium werde die mittlere Überlebensdauer aller Patienten mit diesem Stadium ermittelt. Für die leichteren Schweregrade ist sie natürlich größer als für die nicht mehr leichten.
Stadium
A
B
C
D
mittlere Überlebensdauer in Jahren
16
8
4
1
Tabelle 9: Überlebensdauer nach Tumorstadien
Listen wir jeden einzelnen Krankheitsfall explizit auf, könnte die Situation etwa wie folgt sein.
Stadium
A
B
C
D
Überlebensdauer
20, 16, 12
10, 8, 6
5, 4, 3
1
Tabelle 10: Überlebensdauerdaten für 10 Patienten
Es gibt also je drei Patienten in den Stadien A, B, C und einen Patienten im Stadium D. Angegeben ist jeweils die Überlebensdauer. Nun wird der jeweils gravierendste Fall aus einem weniger weit fortgeschrittenen Stadium in das nächstschlimmere Krankheitsstadiumhochgestuft, etwa weil Tumore mit besserer Technik als gravierender eingeschätzt werden müssen.
Abbildung 9: Auswirkung der Neugruppierung einzelner Krankheitsfälle
Wie ersichtlich, hat in allen Klassen die mittlere Überlebensdauer zugenommen, so dass scheinbar Therapieverbesserungen registriert und konstatiert werden können. Dabei sind die errechneten «Verbesserungen» nur vermeintlich und werden vorgetäuscht allein durch geringfügige Modifikationen der Gruppierung der exakt unveränderten Krankheitsfälle. Dieser Gefahr muss man sich bei jeglicher Art von Studien bewusst sein, in denen ältere Daten zum Vergleich herangezogen werden. Nichtbeachtung ist ein ernster datenanalytischer Kunstfehler. Man vermeidet ihn durch zusätzliche Verwendung von Kontrollgruppen aus demselben Zeitsegment zu Vergleichszwecken.
Abbildung 10: «85 % erholen sich ohne Komplikationen, 60 % der übrigen 15 % haben eine langsame Erholungsrate, und die verbleibenden 40 % der 15 % benötigen möglicherweise eine weitergehende Behandlung.» Cartoon von Sidney Harris.
Wir wollen nun die bereits erwähnte Anwendung des Will-Rogers-Phänomens als Waffe in der Politik explizit analysieren. In diesem Bereich tritt das Phänomen am eindrucksvollsten beim sogenannten
Gerrymandering
auf. So wird die absichtliche, ganz allein der Erzielung politischer Vorteile dienende Veränderung der Grenzen von Wahlkreisen bezeichnet. Der Begriff ist eine Wortschöpfung in Anlehnung an Elbridge Gerry, im frühen 19. Jahrhundert Gouverneur des US-Bundesstaates Massachusetts, dessen eigener Wahlbezirk nach einem von ihm selbst politisch durchgesetzten Neuzuschnitt einem Salamander glich. Aus
Gerry
und
Salamander
entstand das Kunstwort.
Der Grund für den Neuzuschnitt bestand natürlich in der Schaffung eines Wahlbezirks, der hauptsächlich die Gerry politisch wohlgesinnten Regionen umfasste und so seine Wiederwahl sichern sollte. Geschicktes Gerrymanderisieren führte denn auch dazu, dass die Opposition bei der Wahl im Jahr 1812 trotz der Mehrheit der Stimmen von 51 % nur 11 der 40 Wahlkreise des Bundesstaates gewann.
Abbildung 11: «In den Umfragen liegen Sie vorne, aber hauptsächlich bei den Menschen, die nie ihre Stimme abgeben.» Cartoon von Jack Corbett.
Schon dieses Beispiel zeigt, dass in Mehrheitswahlsystemen ein wichtiger, wenn nicht gar der wahlentscheidende Faktor der geometrische Zuschnitt der Wahlkreise ist, denn in reinen Mehrheitswahlsystemen kann auch eine Minderheit der Wähler die Mehrheit der Wahlbezirke für eine Partei gewinnen. Wir demonstrieren dies mit einem zwar stilisierten Beispiel, das aber dieWirkung geschickter Gerrymanderisierung sehr augenfällig macht.
Der Kleingärtnerbund (KGB) habe lediglich 20 Anhänger in einem Gebiet, während dessen Konkurrent, der Nicht-KGB, über die Mehrheit von 29 Anhängern verfügt. Die Verteilung der Anhänger beider Parteien über die Region sei wie folgt:
Abbildung 12: Verteilung der Anhänger: • KGB-Anhänger, o Nicht-KGB-Anhänger
Es gibt zwar in der Region, in der gewählt wird, 9 Nicht-KGB-Anhänger mehr als KGB-Anhänger, doch wer die Wahl gewinnt, hängt ganz allein vom Zuschnitt der Wahlkreise ab. Wenn etwa jeder Spalte von Abbildung 12 ein Wahlkreis entspricht, so gewinnt der KGB den 1. und 5. Wahlkreis, also nur 2 der 7 Wahlkreise, und verliert damit die Wahl. Wenn einer jeden Zeile ein Wahlkreis entspricht, dann gewinnt der KGB den ersten Wahlkreis, also nur 1 von 7 Bezirken, und verliert wiederum die Wahl. Wenn wir aber nun
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