Achtung, Gutmenschen!: Warum sie uns nerven. Womit sie uns quälen. Wie wir sie loswerden.
Patriarchen-Religion! Doch das Ergebnis ist prächtig. Die sogenannte Gerechte Bibel spricht von Prophetinnen und Jüngerinnen, sie hat das Wort «Herr» gestrichen und nennt Gott stattdessen «die Lebendige». Als Nächstes soll der Koran ins Gerechte übersetzt werden. Das wird noch lustiger.
Ebenfalls bereinigt und endlich gut werden sollen die Namen von Straßen, Schulen und Plätzen. Auch das ist schwierig. In Hamburg sorgte eine Gutmenschen-Initiative dafür, dass eine «Gustav-Frenssen-Straße» umgetauft wurde. Denn dem einst ortsansässigen, längst vergessenen, nur noch von Arno Schmidt gepriesenen Schriftsteller Frenssen konnte eine rassistische Gesinnung nachgewiesen werden. Wie konnte die Straße reingewaschen werden von so einem schweren Erbe? War das überhaupt möglich?
Ja. Es ging. Aber nur durch radikale Flucht nach vorn: durch die Umbenennung in «Anne-Frank-Straße». Dankbarkeit bei den Briefpapierdruckern, Erleichterung im Ortsamt. Doch des Dichters verdächtige Werke spuken immer noch unangetastet als Straßennamen in der Gegend herum: «Jörn-Uhl-Straße», «Babendiek-Straße», benannt nach gesinnungsunreinen Romanen.
Es ist eben aufwendig, wenn man anfängt, wirklich gründlich reinezumachen. Im Rheingau wehrten sich phlegmatische Anwohner gegen die Änderung ihrer Anschrift, weil sie zufällig in einer Rudolf-Dietz-Straße wohnten oder ihre Kinder auf eine Rudolf-Dietz-Schule schickten. Mundartdichter Dietz, 1863 geboren, war als Siebzigjähriger in Hitlers Partei eingetreten und hatte den Führer alsbald hymnisch bedichtet. Fast so anbetend, wie seine Kollegin Luise Rinser ihr Vorbild Stalin bedichtet hatte, bevor sie Präsidentschaftskandidatin der Grünen wurde.
Okay, weg mit Dietz vom deutschen Anteil der Erdoberfläche. Wer muss noch verschwinden? Alle Antisemiten früherer Jahrhunderte, von Bach über die Brüder Grimm bis Wilhelm Busch? Da eröffnet sich für beschäftigungslose Gutmenschen ein großer, unkrautbewachsener Acker. Die Bürgerinitiative gegen den Straßennamen «Hermann Löns» wegen dessen nationalsozialistischer Vergangenheit ist wieder zerbröckelt, vielleicht weil Löns schon 1914 gestorben war und keine Chance hatte, Nazi zu werden. «Aber er wäre einer geworden», argumentierten die Straßenreiniger, «wenn er nur lange genug gelebt hätte.»
Schon möglich. Man weiß es ja wirklich nicht. Die prognostische Weiterführung von Lebensläufen von vorzeitig Verstorbenen in die Nazizeit oder in eine vorgestellte Diktatur hätte am Ende die wohltuende Konsequenz, dass überhaupt keine Straße nach irgendeinem Bürger oder einer sogenannten Geistesgröße benannt werden würde.
Selbst Lichtgestalten haben stets ihre unreinen Schattenseiten, Gandhi in Hinsicht auf Weib und Kind, Nelson Mandela im Verhältnis zu Untergebenen, Albert Schweitzer in Bezug auf sein Rassenverständnis, bei Oskar Schindler und Rudi Dutschke sind ebenfalls Sonderbarkeiten aufgetaucht, ja, selbst Jesus hätte laut Gerechter Bibel manches besser machen sollen. Nach ihm ist allerdings auch keine Straße benannt. Alle anderen Namen werden vielleicht zunächst durch Frauennamen ersetzt und bei der nächsten Säuberungswelle ganz und gar verschwinden. Manhattan hat die Straßen nummeriert, das wirkt neutral.
Was kann man noch tun, um sich an den Sünden früherer Generationen zu reinigen? Mahnmale aufstellen, ehemalige Zwangsarbeiter einladen, einem Verein für Erinnerungskultur beitreten, Stolpersteine bestellen. Vielsprechend ist der Ansatz, in der Vergangenheit jener Künstler zu forschen, die in der Nazizeit nicht emigrierten. Hat Johannes Heesters im Konzentrationslager gesungen? Warum hat Heinz Rühmann Goebbels nicht angespuckt? Warum sind überhaupt Leute im Land geblieben? Es wird schon niemand einen Stecken so ganz und gar ohne Staub und Dreck haben. Aber derjenige, der den Stecken eines anderen ausgräbt und hochhält und als skandalöse Entdeckung herumzeigt, der hat alles gutgemacht. Der ist rein.
Bosheiten für Gutmenschen
Keine Wiedergutmachungs-Idee war in den letzten Jahren so erfolgreich wie die Stolperstein-Idee des Bildhauers Gunter Demnig. In Erinnerung an Deportierte der Nazizeit verlegt der Mann vor ihren einstigen Wohnhäusern viereckige Messingsteine. Darin eingraviert sind ihre Namen, Geburts- und Sterbedaten und der Deportationsort. Der Mann hat dafür Verdienstorden und Ehrenbürgerschaft bekommen; er expandiert mittlerweile auch ins europäische Ausland und darf
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