Achtzig Gedichte
Dämonen. In Trakls Seelennot ist seine poetische Arbeit notwendig: hier bleibt in der Tat keine Zeit für Anderes.
Die angedeuteten poetischen Prinzipien hat der Leser im Umgang mit Trakls Gedichten zu bedenken. Seine Leseweise muà der besonderen Verfahrensweise dieses Dichters angemessen sein. Diese Gedichte verlangen die Ãffnung aller Sinne, Ãbung in simultaner Wahrnehmung. Das gilt zunächst für das sprachliche Detail, für die Beziehung von Wort zu Wort.
Exemplarisch zeigt sich die Wortkunst Trakls am Beispiel der
feurigen Mitternachtsregen.
Auf engstem Raum sind hier elementare Gegensätze «zusammengeschmiedet»: Feuer und Wasser, nächtiges Dunkel und flammendes Rot. Nicht nach dem «eigentlich Gemeinten» ist zu fragen â wahrzunehmen gilt es dieses Spiel von Kräften, dieses Spannungsfeld, das dem Bild Leuchtkraft und Suggestivität verleiht.
Was für das sprachliche Detail gilt, das gilt gleichermaÃen für den Zusammenhang eines einzelnen Gedichts: Das Nacheinander der Bilder ist als ein Miteinander zu begreifen, die Abfolge als Bezug, als Konstellation. So betrachtet, werden Trakls Gedichte immer wieder ihre subtile Architektur zu erkennen geben, sich darstellen als ein komplexes Zusammenspiel von korrespondierenden und kontrastierenden Farben, Bildern, Klängen.
Man bemerkt etwa, wie der Aufbau des Gedichts
Musik imMirabell
angelegt ist auf das Stichwort
Angst
: in der allmählichen Verengung der Perspektive (Himmel-Park-Zimmer), im Vorrücken der Dunkelheit (von der anfänglichen hellen Farbzusammenstellung Blau/Weià über das Grau zum Kontrast Schwarz/Rot), in der Ãnderung der Bewegungsvorstellung (stehen, gehen, gleiten, kreisen, stürzen). Man wird die mit dem Auftritt der
Angstgespenster
(dem weiÃen Fremdling, dem Hund) sich ausbreitende Unruhe verspüren, wird entdecken, wie sie sich dokumentiert in einer vom Dichter bewuÃt gesetzten rhythmischen UnregelmäÃigkeit
(verfallene Gänge).
Feuer steht auch in diesem Gedicht gegen Wasser, Rot gegen Blau. Das akustische Bild des Sonatenklanges in der letzten Zeile weist zurück auf das Eingangsmotiv, suggeriert wie dieses Ruhe und Harmonie: Die Angstgespenster sind â nachdem eine Flamme gelöscht wurde â vertrieben, die von ihnen verursachten Dissonanzen beseitigt.
Auch im Gedicht
Landschaft
ist eine solche Farbarchitektur wahrzunehmen, eine Gradation vom Dunklen zum Hellen und umgekehrt, eine Abfolge verschiedener Aufwärts- und Abwärtsbewegungen, subtile Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Bildern. Das Feuer der Schmiede â kontrastiv zum blauen Wasser des Teichs â findet sich wieder in der
Inbrunst
des Rappen, dann im Bild des verbrennenden Baums; erinnert nicht dieser Baum auch an die Gestalt des sich «aufbäumenden» Pferdes? Schwarz wie dieses sind die Fledermäuse, die am SchluÃ, gleichermaÃen bedrohlich,
aufflattern
; in ihrer Bewegung gleichen sie auch dem Feuer, den aufsprühenden Funken. Dieses Gedicht, so zeigt sich, ist ein kunstvolles Gebäude aus Worten, ein Gebäude freilich, in dem Dämonen hausen.
Was für die einzelne Wortkonstellation, was für den Zusammenhang eines einzelnen Gedichts gilt, das gilt schlieÃlich auch für den Zusammenhang der Gedichte Trakls untereinander. Auch hier hat sich die simultane Wahrnehmung zubewähren. Je mehr nämlich der Leser mit diesen Gedichten vertraut wird, desto häufiger wird er in einem Vers einen anderen aufklingen hören, in einem Bild ein anderes gespiegelt sehen. Der
fromme Pilgerzug
der Vögel im Sonett
Verfall
findet sein genaues Gegenbild in dem Gedicht
Die Raben: Und plötzlich richten nach Nord sie den Flug/Und schwinden wie ein Leichenzug/In Lüften, die von Wollust zittern.
Diese Raben sind dämonische Geschöpfe, sie bevölkern eine Welt des Verfalls und der Wollust; zu den
frommen
Vögeln des Sonetts verhalten sie sich wie Trakls Gestalt des
sanften Mönchs
zu seinem
bleichen Priester der Wollust.
Ãberlegungen mögen sich nun anschlieÃen, ob nicht der herbstliche Garten des Eingangssonetts auch einen Paradiesgarten meint, ob nicht überhaupt die Motive des Verfalls und des HäÃlichen in enger Verwandtschaft stehen zum Motiv des Sündenfalls:
Seufzend erblickt sein Bild der gefallene Engel.
Dieser gefallene Engel ist ja ein Dämon, und er ist ein häÃliches Geschöpf:
Aus grauen Zimmern
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