Acqua Mortale
klarzumachen.« Es folgte die übliche Rede, in der Menschen und Institutionen gedankt wurde, die Lunau nicht kannte. Dann kam der Chef des italienischen Tourismusverbandes an die Reihe, mehrere Lokalpolitiker. DasPublikum wurde ungeduldig, immer wieder wanderten die Augen zu den Häppchen, die ein Cateringservice inzwischen im Deichvorland auf langen Tischen aufgebaut hatte.
Frau Dr. Gerstner griff, entgegen den Absprachen, noch einmal nach dem Mikro. Was hatte sie jetzt noch zu sagen? Und in welcher Sprache?
Auf Deutsch fing sie an, die italienische Großzügigkeit und Gastfreundschaft zu loben, Italien, das Land, das unseren größten Klassiker, Johann Wolfgang Goethe, zu künstlerischer Reife erzogen hatte. »Übersetzen Sie«, zischte sie Lunau zu. Aber dieser tat, als hätte er nicht gehört. »Sie sollen übersetzen.« Lunau reagierte nicht. Das Publikum beobachtete gebannt die Szene. Ein Eklat lag in der Luft, und den wollte sich niemand entgehen lassen. Dr. Wilma Gerstner funkelte Lunau an, dann betrachtete sie das Publikum, das an ihren Lippen hing.
Frau Dr. Gerstner breitete die Arme aus, das Mikrophon in der Hand, wie ein Schlagerstar oder ein moderner Wanderprediger.
Sie rief »Cari amici!« und »Grazie Italia!«, die Leute starrten sie amüsiert an, und da Italiener jedes redliche Bemühen um Verständigung zu schätzen wissen und bei Grammatikfehlern nicht kleinlich sind, schlugen ihr sämtliche Sympathien entgegen. Sie war dabei, mit ihrem beschränkten Wortschatz, den sie immer neu variierte, und ihrer theatralischen Gefühlsduselei, die Zuschauer zu bannen. Ihr Erfolg ließ sie jedes Ressentiment vergessen, ihr Gesicht strahlte, und dann wandte sie sich, mit immer noch ausgebreiteten Armen, Lunau zu. »Ich wusste, dass ich mich in Ihnen nicht getäuscht habe, dass Sie ein Rohdiamant sind, der nur etwas geschliffen werden muss.« Sie kam immer näher, aber dann zuckte sie zusammen, weil das aggressive Bellen eines Hundes über den Fluss hallte. Ein zweiter Köter sprang ihm bei, die klobigen Köpfe flogen über die Deichkante, gefolgt vonKnäueln dicker Wolle. Im Nu waren die Hunde am Büffet und stöberten mit ihren Lefzen in den kalten Platten. Die Schafe trotteten gemächlich hinterher. Der Schäfer war oben auf der Deichkrone erschienen. Er ließ seinen Blick über das Vorland, die Zuschauermenge und die schwimmende Mühle schweifen. Nichts deutete darauf hin, dass er Lunau erkannt hatte. Nichts außer der Tatsache, dass er ihn ein zweites Mal gerettet hatte. Oder vielleicht waren es sogar die Hunde gewesen, mit denen Lunau sein Lebtag nicht warmgeworden war.
Amanda kam über die Landungsbrücke und stieg aufs Podium. Lunau sah, wie Silvias Miene hart wurde. Amanda gab ihm zwei unverbindliche Küsse auf die Wange und sagte: »Na, großer Meister … Bist du jetzt unter die Hofpoeten gegangen?«
Das Publikum suchte unterdessen, sich der Schafe zu erwehren, kletterte die Deichflanke hoch und flüchtete sich in die Autos. Der Schäfer kam gemächlichen Schrittes herab, verscheuchte seine Hunde und bediente sich am Büffet. Lunau lächelte Silvia an, und gleichzeitig sagte er Amanda ins Ohr: »Bei Hof weiß niemand, dass morgen der Prozess in Sachen Marco Clerici weitergeht.«
Am nächsten Morgen saß Ida Gasparotto im Salon hinter dem halbgeschlossenen Rollladen und las die Montagszeitung. Die meisten Artikel waren ein Ärgernis: Man hatte diesen impertinenten Journalisten nicht nur offiziell eingeladen, man hatte seinem Machwerk sogar eine hymnische Rezension gewidmet. Dann waren da die Ankündigung des neuen Verhandlungstages in Sachen Marco Clerici und die Mitteilungen einer Pressekonferenz in der Questura: »… haben die Nachforschungen der hiesigen Mordkommission höchst belastende Indizien gegen Andrea Zappaterra, den bis dato allseits geschätzten Sandgrubenbetreiber und vermeintlich vorbildlichen Unternehmer, zu Tage gefördert.Neben Mordversuchen an Dany Bellini und dem deutschen Journalisten Kaspar Lunau werden Zappaterra auch die Morde an Giuseppe Pirri und Vito Di Natale zur Last gelegt. Hintergrund sei ein weitverzweigtes Geschäft mit illegal aus dem Flussbett abgebautem Sand. Laut informierten Kreisen steht das Ermittlungsverfahren kurz vor dem Abschluss, so dass in Kürze Anklage gegen Andrea Zappaterra sowie drei seiner Angestellten erhoben werden kann.«
Wenigstens hatte man Alberto, der gegen ihren ausdrücklichen Wunsch zu der Veranstaltung am Deich gegangen war, nicht
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