Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
Füße stolperte, stützte sich an den grauen Stamm der uralten Buche und übergab sich.
Ihr Verstand setzte einfach aus, ihr Körper diente nur noch einem Zweck: dem Würgen. Als könne sie alles vergessen machen, wenn sie das Innerste nach außen kehrte. Nicht nur den Mageninhalt, auch die schrecklichen Bilder, die sich in ihr Gedächtnis eingegraben hatten wie Brandmale auf der Haut der Leibeigenen, alles wollte sie herauswürgen.
Sie kam erst wieder zu sich, als sie die Hand des Mädchens spürte, die ihr die schweißfeuchte Stirn abwischte. Vollkommen erschöpft sank sie zu Boden und blickte dankbar zu ihm auf. War es nun die veränderte Perspektive oder ihr desolater seelischer Zustand – mit großem Erstaunen stellte sie fest, dass die Anwesenheit des Mädchens sie tröstete, obwohl sie es doch eigentlich war, die ihm hätte helfen sollen. Magdalena schaute auf sie herab und Adelheid las es in ihren Augen: Sie wusste alles. Sie hatte es bereits gewusst, als Adelheid sie vor der Hütte gefunden hatte. Der Versuch, das Grauen zu verstecken, war völlig unnötig gewesen. Es tat ihr gut, das zu begreifen, denn nun war sie mit dieser grauenhaften Last auf ihrer Seele nicht mehr allein. Das Mädchen setzte sich zu ihr und lehnte seinen Kopf an ihre Schulter. Diese Geste besiegelte einen Bund, der ein Leben lang währen sollte.
„Da kommt sie! Das Fräulein Adelheid ist zurück!“ Schneller als ein Pfeil flog die Nachricht von der Vorburg über die Zugbrücke zum Hof der Kernburg, wo zwei Stallburschen versuchten, mehrere prächtige Pferde ruhig zu halten, die von ihren Reitern dort zurückgelassen worden waren.
„Herr! Eure Tochter kommt zurück!“, rief der ältere der beiden zum Palas hinüber, wo Graf Beringer seit geraumer Zeit mit anderen Rittern tafelte. Natürlich konnte sein Herr ihn nicht hören, denn das johlende Gelächter, das ab und zu zwischen Trinksprüchen und zotigen Scherzen aufbrandete, erreichte gerade wieder einen Höhepunkt. Aber der Mundschenk, der im selben Moment aus der Tür trat, um Nachschub aus dem Weinkeller zu holen, kehrte sofort um, trat diskret an den Grafen heran und flüsterte ihm die Nachricht ins Ohr. Beringer sprang so impulsiv auf, dass dem Überbringer der Nachricht der Holzschemel vors Schienbein prallte und er mit schmerzverzogenem Gesicht den Rückzug antrat. Es wurde still im Saal. Alle schienen zu begreifen, welche Nachricht der Mundschenk überbracht hatte. Der Ritter vom Straußberg, der in den letzten Stunden mehrmals versucht hatte, wegen seines verletzten Stolzes den Brautpreis herunter zu handeln, stand mühsam auf und lallte. „Ich hoffe, Ihr wisst, wie man ein ungehorsames Weib züchtigt, Graf Beringer. Wenn nicht, ich …“
„Spart Euch die Mühe und feiert in Ruhe weiter. Ich kümmere mich schon selbst darum!“, unterbrach ihn der Graf und stürmte mit hochrotem Kopf zum Saal hinaus.
Adelheid ritt gewöhnlich nie zur Kernburg, sondern brachte Diabolus zuerst in den Marstall und ließ ihn versorgen. Heute nahm sie sich diese Zeit nicht. Ohne den Hengst zu zügeln, jagte sie ihn im scharfen Galopp über die Zugbrücke und brachte noch mehr Verwirrung in die Gruppe der Gäule auf dem Hof. Die beiden Reitknechte fluchten laut und versuchten, die mächtigen Tiere zu beruhigen. Der Graf, der gerade die Treppe vorm Palas herunterstürmte, vertrat ihr den Weg. Diabolus stieg und tänzelte dann erschrocken auf der Stelle. Das verängstigte Mädchen, das hinter Adelheid im Sattel saß, klammerte sich mit letzter Kraft an ihrer Taille fest.
„Vater, etwas Furchtbares ist geschehen!“ Atemlos sprang Adelheid aus dem Sattel und half auch Magdalena herunter, die sich verstört hinter ihr hielt. Graf Beringers Gesichtsausdruck wurde besorgt, seine Wut schien zum Teil verraucht. Nur in seinen strengen Augen, die sie auffordernd anblickten, konnte sie noch Reste seines Ärgers glimmen sehen.
„Fortunata, die Heilerin, sie ist tot! Man hat sie …“ Sie zögerte, es fielen ihr keine Worte ein, die das beschreiben konnten, was sie gesehen hatte.
„Nun rede schon, Kind! Was ist geschehen?“ Des Vaters Stimme klang gereizt und ungeduldig.
„Man hat sie umgebracht! Ich habe sie vor ihrer Hütte gefunden. Es war … furchtbar!“
Jetzt, wo sie sich zu Hause in Geborgenheit wähnte, fiel das Gefühl von ihr ab, den Überblick behalten zu müssen und verantwortlich zu sein. Sie hatte die Initiative an ihren Vater übergeben und plötzlich fühlte sie sich
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