Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
losgeritten sind!“
Das Mädchen senkte den Kopf und schloss die Augen, dabei ballte es die Fäuste und bewegte die Lippen, wie bei einem stummen Schwur. Das lange Kraushaar wehte ihr ins Gesicht und warf Schatten über die von der roten Sonne beleuchteten Züge. Für einen Moment glaubte Adelheid, Fortunata vor sich zu haben, denn das Mädchenantlitz sah plötzlich reif und erwachsen aus. Es war, als wäre das Kind plötzlich weit weg und unerreichbar für alles Irdische, ja – fast glaubte Adelheid, eine Kälte zu spüren, die nicht vom Wind herrührte und gegen die auch die letzten Sonnenstrahlen nichts ausrichten konnten. Sie schauderte und schwieg betroffen.
Die Rauchsäule stieg noch immer dünn aus dem Wald heraus und wurde über den Baumwipfeln sofort ein Spielzeug des Windes, der sie zerpflückte und in alle Himmelsrichtungen zerstreute. Sie konnte nichts tun. Ohnmächtig vor Wut sprang sie von der Mauer und ging langsam zum Palas hinüber, wo zwei Mägde damit beschäftigt waren, die Tische nach dem Gelage abzuräumen und wieder herzurichten.
Als die schwere Holztür hinter ihr knarrend ins Schloss fiel, fühlte sie Magdalenas Hand in der ihren. Gemeinsam gingen sie schweigend die Treppe hinauf in den Raum, in dem schon wieder ein wärmendes Feuer im Kamin prasselte. Im Rauchabzug heulte der Wind und trieb ab und zu rauchige Schwaden ins Zimmer. Alwina saß dicht vor den Flammen und wärmte sich ihre gichtknotigen Hände. Ihre Augen tränten und sie schien unentwegt damit beschäftigt, die Funken auszutreten, die mit dem Rauch herein stiebten und auch für ihre kurzen Beine erreichbar auf die Holzdielen fielen. Wie Adelheid erwartet hatte, lag für Magdalena Bettzeug bereit.
„Ich habe euch etwas zu Essen bringen lassen, ihr müsst hungrig sein, nach dem langen Tag!“, sagte die alte Frau mit einem kurzen prüfenden Blick auf das Mädchen und erhob sich, um die Schüsseln aufzudecken, die am Feuer warm gestanden hatten. Bei dem aufsteigenden Duft der Mahlzeit spürte Adelheid tatsächlich ihren leeren Magen. Sie roch Kaninchenpastete und Hecht mit Pfeffersauce, ein Gericht, das Adelheid besonders mochte. Großzügig füllte sie ihren Teller auf und versah auch Magdalena mit einer Portion Fisch. Einen Brotwecken teilte sie mit den Händen, reichte dem Mädchen die Hälfte und tauchte ihren Anteil in die Soße. Magdalena beobachtete sie eine kleine Weile, dann tat sie es ihr nach. Anscheinend hatte sie noch nie Hecht gegessen, denn sie probierte sehr vorsichtig. Dafür langte sie bei der Kresse zu, die Alwina ihr auftat. Bei Adelheid versuchte sie das gar nicht erst, sie wusste, dass ihr Liebling keine Kresse mochte.
Nachdem sie schweigend das Mahl beendet hatten, saßen sie noch eine Zeit lang neben Alwina am Feuer. Normalerweise erzählte die alte Frau bei solchen Gelegenheiten Geschichten und nicht selten kamen Mägde und Dienerinnen hinzu und lauschten in gemütlicher Runde. Manchmal sangen sie auch die alten Lieder, deren Ursprung keiner mehr kannte. Heute jedoch war die Alte still und auch die anderen Frauen im Raum hielten sich zurück. Die junge Frau des Mundschenks stillte ihr Baby und flüsterte ihm leise beruhigende Worte zu, als es greinen wollte. Die kleineren Kinder schliefen bereits und die größeren saßen mit großen Augen neben ihren Müttern und schwiegen. Die schrecklichen Geschehnisse des Tages lauerten wie böse Geister im dämmrigen Raum und schufen eine beängstigende Atmosphäre, gerade jetzt, wo die Schatten sich in Dunkelheit wandelten und der Kammerdiener des Grafen seine abendlichen Runden lief, um die Fackeln in den Gängen des Palas und auf der schmalen Wendeltreppe zwischen Saal und Kemenate zu entzünden.
Die ganze Nacht tobte der Sturm um die Burg, rüttelte an den Dächern und peitschte die Zweige der Bäume an die Burgmauern. Die schweren Holzladen in den Fensternischen klapperten und knarrten, doch die derben Riegel hielten stand.
Adelheid lag mit offenen Augen und starrte in die Finsternis. Obwohl sie bereits in der Nacht zuvor nicht geschlafen hatte, fühlte sie keine Müdigkeit. Auch Magdalena neben ihr unter der wollenen Decke fand keinen Schlaf. Sie spürte, wie das Mädchen immer wieder vom lautlosen Schluchzen geschüttelt wurde. Ohnmächtige Wut über die eigene Hilflosigkeit keimte in ihr auf.
Hufgetrappel vor dem Fenster riss sie aus ihren Gedanken. Die Männer kamen zurück! Vorsichtig setzte sie sich auf, beugte sich zu Magdalena und flüsterte ihr
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