Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
möchte in unsere Welt zurückkehren, wenn du in diesem Ton mit ihr sprichst?“ Die Herrin vom Straußberg spürte wohl, dass die Jungfer von etwas anderem gequält wurde, doch sie konnte nicht zulassen, dass ihr kranker Schützling darunter litt. Ihre von einem feinen Kranz kleiner Fältchen umgebenen unergründlichen Augen blickten gütig, aber bestimmt.
„Aber Magdalena, ich habe hier etwas, das könnte ihr helfen. Sie müsste nur einen Blick darauf werfen. Doch dazu sollte sie erwachen!“
„Was ist es?“
Ehrfürchtig nahm Helisende die Rolle aus ihrer schützenden Verpackung. „Sieh nur, das ist die Basis des Klosters Walkenried, so wie Mutter es immer erträumt hat. Bruder Bernhard hat es gezeichnet!“
Magdalena warf einen flüchtigen Blick auf das Pergament und einen langen Blick in Helisendes Augen. Dann wusste sie genug, um nicht weiter zu fragen.
„Warum versuchst du es nicht so wie deine Mutter damals, als dein Vater hier lag und nicht erwachen wollte? Erinnerst du dich an die Weise, die ihr ihm gesungen habt? Auch sie liebt dieses Lied sehr.“
Sie nahm einen Arm voll schmutziges Bettzeug und ging zur Tür. „Versuch es, ich bin gleich zurück.“
Auf der Treppe kam ihr Ludwig wutentbrannt entgegen.
„Wo ist Helisende? Wisst Ihr, was in sie gefahren ist? Ihr könnt Euch nicht vorstellen, in welchem Zustand die Pferde sind, mit denen sie aus Walkenried zurückkam. Ich glaube, sie hat den Verstand verloren!“
Magdalena lächelte milde und legte den Zeigefinger der freien Hand auf die Lippen: „Schscht. Ihr habt beinahe Recht, Graf Ludwig! Doch hat sie nicht den Verstand, sondern ihr Herz verloren. Hört!“
Aus der Kammer am Ende der Treppe klang Helisende Stimme, klar wie das Wasser einer Bergquelle. Mit erstauntem Gesichtsausdruck, aus dem alle Wut gewichen war, stieg Ludwig an Magdalena vorbei nach oben, wobei er sich bemühte, beim Auftreten das Knarren der Stufen zu vermeiden.
„… er gibt, dass ich soll Gnade finden,
ich maß dasselbe kleine Stroh …“
Der Gesang der Jungfer wurde vom Wind über den Burghof getragen und für einen Moment ruhte die Arbeit aller Hände. Der Waffenschmied trat in die Tür, der Mundschenk ließ ab von dem Fass, welches er gerade zur Küche hineinrollen wollte, und winkte dem Koch zu, er möge herauskommen.
„Lange hat sie nicht gesungen, unsere Jungfer Helisende!“, flüsterte die Küchenmagd der Waschfrau zu, doch die bedeutete ihr, still zu sein und zu lauschen.
„… nun höret und merket, ob sie´s denn tut:
sie tut, sie tut nicht, sie tut, sie tut nicht, sie tut.“
Ludwig hatte die Tür leise geöffnet und sah seine Schwester am Bett der Mutter sitzend. Sie hielt deren Hand und sang mit geschlossenen Augen. Mit angehaltenem Atem schlich er näher zum Krankenlager, während Helisende die Weise zum zweiten Male anstimmte.
„Mich hat ein Halm gestimmt so froh,
er gibt, dass ich soll Gnade finden.“
Er trat hinter sie und legte ihr beide Hände auf die Schultern, wobei er unwillkürlich die eingängige Melodie mitsummte. Helisende erschrak nicht, sondern sang umso inniger weiter. Sie verstummte erst, als ihr Bruder sie leicht rüttelte und flüsterte:
„Helisende, sieh doch nur!“
Adelheid hatte die Augen geöffnet. Verständnislos blickte sie erst ihre Tochter, dann ihren Sohn an.
„Mutter!“ Helisende brach in Schluchzen aus.
Ludwig richtete sie etwas auf und reichte ihr von dem Wasser, das immer bereit stand. Sie war noch zu schwach, um zu sprechen, doch als ihre Tochter mit erstickter Stimme von Walkenried berichtete und ihr schließlich das Pergament zeigte, lächelte sie zufrieden und schlief wieder ein.
Der Januar des Jahres 1126 brachte viel Schnee und heftige Kälte. Das Eis auf Flüssen und Teichen wurde so dick, dass selbst schwer beladenen Wagen und Schlitten darüberfahren konnten. Die Arbeiten in Walkenried kamen vollständig zum Erliegen. Bruder Bernhard nutzte die Zeit, um Adelheid auf Lare zu besuchen und ihr detailgetreu zu beschreiben, was schon alles geschafft war. Es tat ihm weh, wenn er sie in den Kissen liegen sah, hohlwangig und kurzatmig, doch mit einem verzehrenden Feuer in den Augen, wenn sie von Walkenried sprach. Sie hatte eine so klare Vorstellung von dem zu bauenden Kloster im Kopf, dass Bernhard bald glaubte, den Konvent, die Kirche und den Kreuzgang gäbe es bereits. Sie erklärte ihm, wo er den Steinbruch anzulegen habe, wie die Steine behauen werden sollten und aus welchem Holz der Altar
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