Adelshochzeit 2
sich wieder über seinen Schreibtisch und nahm die Feder auf.
Doch seine Tochter ließ sich nicht so leicht ablenken. In Grübeln versunken, wanderte sie in dem Arbeitszimmer umher. Schließlich ließ sie sich aufseufzend in einen abgenutzten Sessel sinken.
Schon vor fünf Tagen hatte die Familie ihren ältesten Sohn daheim am Callison Crescent erwartet, da er seinen jüngeren Bruder zwecks Anfertigung der Schulkleidung zum Schneider begleiten sollte. Er war nicht gekommen und hatte auch keine Nachricht gesandt, weder schriftlich noch mittels irgendwelcher Freunde. Selbst bei einem so egoistischen jungen Mann wie Tarquin ist das äußerst ungewöhnlich, fand Emily.
An jenem Nachmittag hatte Mrs. Beaumont etwas wie „rücksichtsloser Bursche“ gemurmelt und dann den Kammerdiener ihres Gatten als Begleitung des jungen Robert auserkoren. Als sie nun heute Morgen von Emily wegen Tarquins überlanger Abwesenheit angesprochen wurde, hatte sie sich nicht besorgter über ihren ältesten Sohn gezeigt als jetzt ihr Gemahl.
Seiner Tochter einen nachsichtigen Blick schenkend warf Mr. Beaumont schließlich die Feder nieder und schnalzte mit der Zunge. „Nun komm, mein Kind, mach kein langes Gesicht. Wenn Tarquin das Schuldgefängnis drohte, ist er noch immer angerannt gekommen, damit ich ihm aushelfe.“ Er lachte zynisch. „Ich werde bestimmt nicht nach ihm suchen oder mich um seine Probleme kümmern; die haben sich immer noch früh genug bei mir eingestellt“, meinte er und nahm die Feder wieder auf, um weiterzuschreiben. Als es eine Weile still blieb, hob er den Kopf und rief ein wenig ungeduldig: „Emily! Also wenn du dich gar nicht beruhigen kannst, werde ich zur Westbury Avenue gehen und seine Vermieterin fragen, ob sie etwas von seinem Verbleib weiß.“
Emilys betrübte Miene hellte sich auf. „Ach, Papa, ja, bitte versprich es mir.“
„Nun gut, wenn ich nachher ausgehe; es liegt sowieso am Weg.“ Damit beugte er sich wieder über sein Rechnungsbuch, wobei er durch ein kurzes Hüsteln kundtat, dass er nun nicht mehr gestört werden wollte.
Anmutig erhob Emily sich und ging hinauf in ihr Schlafgemach. Sie trat ans Fenster, und als sie die zartgrünen Blattknospen der Lindenbäume und den strahlend blauen Himmel sah, beschloss sie, auszugehen und ihre Freundin Sarah Harper zu besuchen, die nur wenige Straßen weiter wohnte. Nach den Regenfällen der letzten Tage tat es gewiss gut, ein wenig frische Luft zu schnappen.
Als sie in der Diele ihren Mantel anzog, eilte ihre Mutter herbei. „Wenn du ausgehst, musst du Millie mitnehmen!“, sagte sie streng. „Jenes abscheuliche Weib – du weißt schon, wer – sah sich bemüßigt, mir unter die Nase zu reiben, dass sie dich draußen ganz ohne schickliche Begleitung gesehen hat.“
Unbekümmert hob Emiliy ihre zart geschwungenen Brauen. Sie wusste genau, auf welche seit Langem eingeschworene Feindin ihre Mutter sich bezog. „Also, Mama, dann erkläre Mrs. Pearson bitte, dass ich eine erwachsene Frau von vierundzwanzig Jahren bin und ganz gut allein auf mich aufpassen kann.“
„Es geht nicht um dein Alter“, hob ihre Mutter an, konnte jedoch weitere Ausführungen bezüglich des Betragens unverheirateter Damen nicht mehr anbringen, denn Emily winkte ihr kurz zu und verließ das Haus. Achselzuckend wandte Mrs. Beaumont sich ab; sie war längst an den Eigensinn ihrer Tochter gewöhnt. Allerdings war es lästig, dass sich solch alte Hexen wie die Pearson, die sowieso nur auf Skandale aus waren, bemüßigt fühlten, ihr das unter die Nase zu reiben. Resigniert begab sie sich in den Salon, um sich mit einem Schluck Sherry moralisch zu stärken.
„Es ist wirklich seltsam“, meinte Sarah nachdenklich. „Bestimmt hätte dein Bruder euch doch wenigstens schriftlich benachrichtigt, wenn er die Stadt verlassen wollte.“
Untergehakt schlenderten die beiden jungen Damen die Regent Street entlang, auf dem Weg zu dem neuen französischen Modesalon.
„Oh“, rief Sarah plötzlich, „mir geht ein Licht auf! Wahrscheinlich hat Tarquin sich verliebt und ist seiner Angebeteten hinterhergefahren, irgendwohin aufs Land.“
„Wie schön, wenn er einen so edlen Grund für sein Wegbleiben hätte.“ Emily schmunzelte. „Leider Gottes hat Tarquin nur eine Liebste – Fortuna! Mit einer solch besitzergreifenden Dame kann keine Frau aus Fleisch und Blut mithalten.“ Mit schiefem Lächeln fuhr sie fort: „Vermutlich hat Papa recht, und ich sorge mich völlig unnötig.
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