Adieu, Sir Merivel
lachhaft aus. Und so schritt ich dann die Treppe hinunter, während mir der purpurfarbene Rock um die Waden schlug und die gerüschte Spitze an den Manschetten über die Hände fiel.
Das Essen war köstlich, und dazu wurde Wein von den Weingütern des Barons gereicht. Louise hatte sich in ein tief ausgeschnittenes blaues Samtgewand gekleidet und Spitzenbänder ins Haar geflochten. Um den Hals trug sie eine sehr schöne Perlenkette, und als ich sie so an ihres Vaters Tisch sitzen sah, geschmückt mit diesem exquisiten und doch unaufdringlichen Geschmeide, begriff ich, wie sehr sie mich an Geburt und Stand übertraf: Sie war die Tochter des BaronsGuy de Saint Maurice von Neuchâtel im Pays de Vaud, und ich war der Sohn eines bescheidenen Handschuhmachers aus Vauxhall und führte nur deshalb ein glanzvolles Leben, weil ich das Talent besaß, den König von England zu amüsieren.
Doch als ein Mann geschliffener Höflichkeit behandelte der Baron mich, als wäre ich der seit langer Zeit wichtigste Gast an seiner Tafel – und das, obgleich meine Spitzenmanschetten die ärgerliche Neigung hatten, ständig ins Essen zu geraten, und mit der Zeit furchtbar fleckig wurden.
Nachdem er mich die traurige Geschichte von Clarendon und seinem elenden Ende hatte erzählen lassen, verwickelte er mich in ein Gespräch über Säugetiere und Insekten, in dem wir beide mit jenen Philosophen übereinstimmten, welche die kartesianische Idee von den Geschöpfen als bloßen Maschinen verwarfen (zumindest als bewiesene Wahrheit) und bei bestimmten Spezies durchaus die Existenz einer Seele vermuteten.
»Nehmt die Ameisen«, sagte der Baron. »Wie selbstlos sie sich doch mühen! Ich habe sogar beobachtet, wie sie, Bein an Bein, eine Brücke über ein kleines Rinnsal hier im Wald errichteten, damit die Königin auf ihren Rücken zu einem neuen Platz für einen Bau getragen werden konnte, und einige von ihnen wurden von dem Gewicht derart hinuntergedrückt, dass sie ins Wasser gerieten und ertranken, und all das ohne einen Laut. Ist dies nicht ein Beleg für die Existenz eines Bewusstseins von einem übergeordneten Wohl und sogar von der Notwendigkeit des Selbstopfers und von daher auch ein Beleg für eine Seele – sei sie auch noch so klein?«
»Oder, und das ist schon sehr häufig behauptet worden«, sagte Louise, »es handelt sich um bloßen Instinkt , der sie dazu treibt, nach Futter zu suchen und zu kopulieren. Doch das werden wir nie wissen.«
»Wieso sollten wir das nie wissen?«, fragte ich. Und dann erwähnte ich eben jenes Werk von Fabricius, De brutorum loquela , das mir in Pearce’ »Futtersack« übergeben wordenwar. Offen gestanden hatte ich das Buch noch nicht aufgeschlagen, erkühnte mich aber trotzdem zu der Bemerkung: »Fabricius hat viel zur Sprache der Tiere zu sagen.«
»Ah ja, Fabricius …«, nickte der Baron.
» De brutorum loquela wagt sich mit der Idee von einer Sprache der Tiere in ganz neue Bereiche vor«, fuhr ich im Ton vorgetäuschter Autorität fort. »Von daher könnten wir schließen, dass neue Forschungen die Idee von einer Seele der Tiere voranbringen werden.«
»Wer aber wird über diese ›neuen Forschungen‹ schreiben?«, fragte Louise. »Stimmen wir nicht doch alle heimlich mit Descartes überein, auch wenn wir das Wort Maschine nicht gern benutzen, weil wir auf diese Weise, ohne uns zu schämen, Skorpione tottreten und Schafe schlachten können?«
Bei der Erwähnung von Schafen und Scham kam mir sofort Clarendon in den Sinn – Clarendon als totes Fleisch. Ich dachte an Patchett und seine Freunde, die ihn zerlegt, seine Knochen gekocht und ihn hinuntergeschlungen hatten.
»Skorpione und Schafe gestehe ich Euch zu«, sagte ich, »aber Bären nicht. Ihr wart mit mir zusammen, Louise, als wir ihn das erste Mal in seinem Käfig sahen, und Ihr erinnert Euch sicher an den kläglichen Ausdruck, mit dem er uns anblickte. Glaubt Ihr denn nicht, dass er so mit uns sprach und um Rettung bat?«
»Und dennoch konnte er nicht sprechen, Merivel.«
»Er sprach zu mir.«
»In einer Sprache, die ich nicht verstand?«
»In keiner Sprache. Er sprach zu mir von Seele zu Seele.«
Der Baron nickte jetzt sehr lebhaft mit seinem rosigweißen Haupt und begann, in das kleine Buch zu schreiben, das während der Mahlzeit neben seinem Ellbogen lag.
»Von Seele zu Seele«, sagte er. »Das ist schön gesagt, Sir Robert. Manchmal glaube ich, dass Constanza so mit mir spricht.«
Constanza war Guy de Saint Maurices
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